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Ruf der Wildnis

4
Drama

Sage und Schreibe neun Mal wurde der US-Literaturklassiker Ruf der Wildnis bereits verfilmt. 2020 kommt nun die wahrscheinlich technisierteste Version in die Kinos. Wieso? Weil keine Tiere in dem Film mitspielen.

Der Bernhardiner Buck lebt im sonnigen Kalifornien und ist ein tierischer Freigeist par excellence. Auf der einen Seite macht er seinem Besitzer das Leben schwer, auf der anderen Seite kann man ihn nur lieben. Als Buck eines Tages entführt wird und als Schlittenhund im Yukon zu Zeiten des Klondike-Goldrausches schuften muss, wendet sich das Blatt eines Tages und er findet seinen besten Freund: John Thornton (Harrison Ford). Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem unentdeckten Fleck Wildnis im nördlichen Yukon.

 

Vor knapp einem Jahr geschah es: Disney kaufte 20th Century Fox für rund 70 Milliarden US-Dollar. Dies hatte für reichlich Wirbel in der Medienlandschaft in Amerika gesorgt und auch viel Raum für Diskussionen und Spekulationen eröffnet. Nun kommt mit Ruf der Wildnis ein Film unter der dem Studiodach „20th Century Studios“ in die heimischen Kinos, welchem man das Disney-Gen sehr klar anmerkt. Ein passender Untertitel wäre gewesen: „Ruf der Wildnis. Wenn sich Disney verkleidet.“ Der Film ist durch und durch Disney, von den Figuren, über das Set-Design, über den Score und bis hin zur Handlung. Es werden dieselben Werte vermittelt wie in unzähligen anderen Produktionen aus der Traumfabrik, dabei geht Ruf der Wildnis keine Risiken, in Form von neuen narrativen Wegen oder der expliziten Darstellung von Härte, ein. Konsequenzen von Handlungsentwicklungen bleiben in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Klar, es bleibt ein Film, der fürs Zielpublikum Kinder entstanden ist, jedoch bleibt die Geschichte rund um den Bernhardiner Buck eben ein Märchen und somit komplett realitätsfremd.

Realitätsfremd ist die Figur Buck im wahrsten Sinne des Wortes, denn Buck wird nicht, wie man sich vielleicht vorgestellt hätte von einem echten Hund verkörpert, sondern ist gänzlich am/im/aus dem Computer entstanden. Dabei wurde auf jegliche Form von Motion Capture verzichtet – 100% CGI. In gewissen Szenen ist es beeindruckend zu betrachten, wie gut animiert sich der Hund auf der Leinwand bewegt, in anderen Szene sieht die CGI-Soße so aus, als würde sie aus einem Computerspiel von 2008 stammen, was dazu führt, dass die filmische Immersion immer wieder gebrochen und man aus dem Film gerissen wird. Das stellt wohl den Aspekt dar, an welchen man sich am meisten gewöhnen muss und gleichzeitig der größte Kritikpunkt ist. Denn es braucht einige Zeit bis man sich an dieses digitale Wesen gewöhnt hat und sich emotional auf die Figur von Buck einlassen kann. Und Emotionen sind die Quintessenz eines jeden Disneyfilms. Im Verlauf von Ruf der Wildnis gestaltet sich die Situation rund um den Pony-großen Vierbeiner kompliziert, er gerät in schwierige Situationen, mit denen er zurechtkommen muss. Dabei handelt Buck sowas von rational und überlegt, dass sogar René Descartes, Begründer des Rationalismus, beeindruckt wäre. Der Bernhardiner wirkt dabei zu nahe dem Menschen, zu sehr vermenschlicht, sodass gewisse Szenen in Erwachsenenaugen sehr fremd wirken.

Die wahren Menschen rund um Buck sind klassische Archetypen, wie der bösartige Schnösel, der liebevolle alte Mann ohne Familie oder der tatbewusste ausländische Arbeiter. Oft kopiert, funktionieren diese Figuren aus der reinen Sehgewohnheit, lassen jedoch keinen Raum für neue dramaturgische Entdeckungen. Dabei machen es die Darstellerinnen und Darsteller ganz gut. Harrison Ford und Omar Sy rücken hier mit ihrer Leistung ins Zentrum, denn sie spielen sympathische Charaktere, mit denen man sofort anknüpfen kann. Gemäß der Romanvorlage spielt Ruf der Wildnis im wunderschönen Yukon-Gebiet, was atemberaubende Naturaufnahmen zur Folge hat, die zum Teil echt sind und zum Teil ebenfalls aus dem Computer stammen. Durch die hochwertige Animation ist es jedoch kaum unterscheidbar, was animiert und was echt ist. Eingefügt wird es in einen dezenten Score, der an den richtigen Stellen an den richtigen Schrauben dreht, um Szenen schön abzurunden.

Wenn sich Disney verkleidet, dann, um einen Roman zum neunten Mal ins Kino zu bringen und ihn zugänglicher für Kinder zu machen. Das gelingt Disney auch recht passable, jedoch bleibt für Erwachsene wenig über, über das man aus filmischer Sicht hinwegsehen könnte. Ein einziger Wehmutstropfen: Bei dieser Produktion sind bestimmt keine Tiere zu Schaden gekommen, da keine mitspielen.

Regie: Chris Sanders, Drehbuch: Michael Green, basierend auf dem Roman von Jack London, Darsteller: Harrison Ford, Karen Gillan, Cara Gee, Omar Sy, Dan Stevens, Bradley Whitford, Filmlänge: 100 Minuten, Filmstart: 20.02.2020