Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen (c) 2023 Emilie Autumn, Festa Verlag(2)

Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen

Emilie Autumn ist eine US-amerikanische Sängerin, Violinistin, Performance-Künstlerin und Autorin. Ihre musikalische Melange setzt sich aus Klassik, Goth, Industrial und Pop zusammen. Hierzulande läuft sie ein wenig unter dem Radar. Doch mit der deutschsprachigen Veröffentlichung ihres literarischen Debüts Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen durch den Festa Verlag, darf sich auch bei uns ein Bild gemacht werden. Eure Aufmerksamkeit ist das, was hier auf Papier gebannt wurde allemal wert.

Der autofiktionale Roman handelt davon, wie Emilie nach einem missglückten Selbstmordversuch auf der Psychiatrie landet. Alle persönlichen Gegenstände werden ihr abgenommen, der Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten. Mit einem Wachsmalstift schreibt Emilie ihre Gedanken in ein Notizbuch. In jenem findet sie auch mehrere zusammengefaltete Zettel: Notizen einer anderen Emily, einem viktorianischen Waisenmädchen. Nachdem sie sich an einem Peiniger gerächt und ebenfalls einen Selbstmordversuch überlebt hat, landet auch diese Emily in einer Anstalt – wo ihr eigentlicher Leidensweg erst beginnt.

Der Hund hatte mich gefunden. Wie aus großer Ferne hörte ich ihn vor der Badezimmertür heulen. Da war ich schon nicht mehr da.

Emilie Autums Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen ist ein Monstrum von Roman. Schwer fassbar und mehr Trip als Geschichte. Am Anfang muss man ein wenig durch narzisstisch anmutenden Emo-Weltschmerz durch. Doch dann öffnet sich ein Teppich an verwobener Gefühlswelt, wie man ihn in der Literatur selten vorfindet. Dabei geht Emilie Autumn durchaus unfokussiert vor. Biegt mal hier, mal da ab. Formuliert Ideen, führt manches zu Ende, manches nicht. Der Roman wird zu einem Splitterwerk. Eben ein literarisches Gleichnis einer zersplitterten Psyche.

Selbstmord ist vielleicht nicht Selbsterhaltung, aber er ist Selbstverteidigung.

Am besten ist Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen dann, wenn sich die Autorin auf ihre Geschichte konzentriert und diese vorantreibt. Hier liegt wahre Stärke. Doch sehr oft werden fragmentarische Tagebucheinträge serviert, Gedanken zum eigenen Krankheitsbild verfolgt, tiefe Einblicke in die Seele gewährt. Etliche dieser Stellen sind extrem stark. Sie sind nur auf Dauer auch ein wenig redundant und enervierend. Wie viel letztendlich von der Geschichte wirklich selbst erlebt ist, ist am Ende total egal.

So oder so haben wir ein ehrliches, beeindruckendes und nacktes Portrait einer psychischen Erkrankung, eindringlich und eindrucksvoll – und meisterlich ausgeführt. Es wird verführerisch sein, in diese dunkle Welt immer wieder mal einzutauchen und die Ecken und Kanten auszuleuchten. Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen ist nicht unbedingt die einfachste Lektüre. Aber bestimmt eine der interessantesten und vielschichtigsten derzeit am Markt. Besser in stabilem Gefühlszustand zu konsumieren.

Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen von Emilie Autumn, 448 Seiten, erschienen im Festa Verlag.

Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen