Vollgas (c) 2021 Joe Hill, Festa Verlag(1)

Vollgas

Joe Hills neuer Erzählband Vollgas umfasst 13 Kurzgeschichten, die zum Teil bereits in anderen Publikationen erschienen. Hill eröffnet seinen Erzählreigen mit dem persönlichen Essay Wer ist dein Daddy?. Eine humorvolle Selbstreflexion, in der der Autor erzählt, wie es ist einen derart berühmten Vater zu haben – und dennoch den gleichen Beruf, nämlich Autor, zu ergreifen. Hill stellt dabei sein eigenes Können deutlich unter den Scheffel. Mit dem Output seines Vaters kann er tatsächlich nicht mithalten. Aber es zählt ja bekanntlich auch die Qualität, nicht die Quantität.

Von beiden hat Vollgas jedoch viel zu bieten. Und apropos berühmter Vater: Mit jenem – es sei nun endlich mal niedergeschrieben – es handelt sich um Stephen King – hat er auch gleich 2 der 13 Kurzgeschichten gemeinsam geschrieben. So viel sei schon mal vorweggenommen, es sind beide nicht unbedingt die Highlights des Erzählbandes. Doch nehmen wir uns doch mal ruhig die Zeit und schauen uns die Geschichten Stück für Stück an.

Der Band eröffnet (nach dem Essay) mit der titelstiftenden Story Vollgas, in Zusammenarbeit mit dem Herrn Papa. Hier prallen eine Biker-Gang und ein rachsüchtiger Truckfahrer aneinander. Ein ganz netter No-Brainer, aber nicht mehr.
Mit der zweiten Geschichte Das Karussell haben wir gleich ein erstes Highlight. Die Horrorstory hat viel Retro-Charme, glaubhafte Charaktere und ein heftiges Ende.
Wolverton Station ist ein seltsames Fantasy-Satire Ding, mit dem ich nicht viel anfangen konnte.
An den silbernen Wassern des Lake Champlain ist eine märchenhafte Erzählung über Kinder, die eine mystische Entdeckung machen. Nett.
Faun ist die Horrorversion des gängigen „Durch-die-Tür-in-eine-andere-Welt“-Motivs. Interessantes Set-up. Hat mir gefallen.
Überfällig ist dann der vorläufige Höhepunkt. Eine berührende Geschichte, über einen Mann der mit seinem Bücherbus einen Schlupfwinkel in der Zeit gefunden hat. Wirklich originell und fast schade, dass da keine längere Geschichte draus wurde.
Meine Welt dreht sich nur um dich – Ich gestehe: diese Geschichte hat mich in den ersten Seiten verloren. Ich habe sie überblättert. Daher keine Wertung.
Daumenabdruck. Wahrscheinlich die härteste Geschichte dieser Sammlung. Es geht um eine toughe Frau, die als Veteranin aus dem Irak-Krieg zurückkommt und mit den Geistern ihrer Vergangenheit zu kämpfen hat. Heftig und gut.
Der Teufel auf der Treppe. Eine mythologische Geschichte über Gut und Böse, die zwar nicht unbedingt schlecht ist, aber etwas aus dem Rahmen fällt.
Tweets aus dem Zirkus der Toten. Die Idee, die Geschichte in Form von Tweets zu erzählen, mag wohl beim Entstehen originell gewesen sein. Letztlich ist es aber kaum mehr als eine stilistische Fingerübung. Trotzdem recht flott zu lesen.
Mums. Auch wieder eine eher heftigere Story, über einen Jungen, der bei einem fanatischen Vater aufwächst, der höchstwahrscheinlich auch seine Mutter auf dem Gewissen hat. Die grausame Fantasy hat definitiv was, ist aber auch recht tragisch.
Im hohen Gras ist die zweite Zusammenarbeit mit Stephen King. Es ist eine recht klassische (King-)Geschichte, die man so oder so ähnlich schon mal gelesen hat.
Mit Wir geben Sie frei schließt der Band nochmal auf sehr hohem Niveau. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt, erfahren an Bord eines Flugzeugs Passagiere und Crew von einem nuklearen Anschlag, der die Welt verändern wird.

Danach gibt es noch ein paar Anmerkungen vom Autor zu den einzelnen Geschichten und eine ganz kurze Short-Story. Insgesamt bietet Vollgas viel Hit & Miss. Aber wenn Hit, dann so richtig. Joe Hills Geschichten haben definitiv mehr Fantasy-, als Horroranteil. Das ist keine Bewertung, aber vielleicht gut zu wissen. Am besten lesen sich die Kurzgeschichten, wenn man immer wieder mal eine – und nicht direkt hintereinander alle konsumiert. Das gibt den einzelnen Storys mehr Entfaltungsmöglichkeit und Nachwirkung.

Vollgas von Joe Hill, 688 Seiten, erschienen im Festa Verlag.

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