White Bird
Wenn R.J. Palacio bezüglich ihres von Marc Foster als Hochglanz-Herzschmerz-Historie verfilmten Spin-offs White Bird zu ihrem Bestseller-Roman Wonder verkündet, Anne Frank habe sie „nicht nur als Mensch, sondern als Schriftstellerin inspiriert“, enthüllen sich darin weniger narzisstische Naivität als materialistische Megalomanie, die kollektive Traumata zu kalkuliertem Kitsch reduziert.
Die von Helen Mirren in einer aufgesetzten Cameo als französische Großmutter erzählte Rückblende doppelt die indirekte Revision seismischen Schreckens zur leicht konsumierbaren Leinwandlektion für Täter: In Gegenwart, in der Wonder-Bully Julian (Bryce Gheisar) durch einen Monolog geläutert wird, und Vergangenheit, deren idealisierte Inszenierung dem Publikum einmal mehr die Identifikation mit den Retter*innen erlaubt.
Hinter der Moralmärchen-Maske werden exaltierter Eskapismus und rührselige Romantik zur kommerziellen Karikatur der zentralen Motive Verfolgung, Verlust und Vereinsamung. Die Nazi-Ära bricht praktisch über Nacht in den privilegierten Provinz-Alltag der jungen Sara (Ariella Glasner), die Unterschlupf in der Scheune ihres aufgrund einer Gehbehinderung gehänselten Mitschülers (Orlando Schwerdt) findet.
Als nahezu einziger Außenkontakt wird Julien erst Freund, dann Love Interest. Die verlogene Verklärung einer auf Alternativlosigkeit und Auslieferung basierten Fixierung ist ähnlich problematisch wie die des mit (buchstäblichen) Phantasie-Projektionen und Pseudo-Poesie verzuckerten Szenarios. Selbiges wird kongenialer Katalysator eines heuchlerischen Humanismus, der Abhängigkeit idealisiert, Klassenhierarchien negiert und dramaturgische Schwächen als Märchenhaftigkeit verkauft.
Regie: Marc Forster, Drehbuch: Mark Bomback, basierend auf dem Roman von R.J. Palacio, Darsteller: Helen Mirren, Gillian Anderson, Olivia Ross, Bryce Gheisar, Patsy Ferran, Jim High, Jo Stone-Fewings, Filmlänge: 120 Minuten, Kinostart: 11.04.2024