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Welt am Draht

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Sci-Fi

Den zweiteiligen Fernsehfilm Welt am Draht aus dem Jahr 1973 von Rainer Werner Fassbinder haben vielleicht nur wenige gesehen, dabei ist es einer der ersten Filme, der sich mit dem Thema der virtuellen Realität beschäftigt.

Selbst in Fassbinders Schaffen wird Welt am Draht oft übersehen und gilt nicht als einer seiner bekanntesten Werke. Dabei hat dieser Film, und selbstverständlich auch die Buchvorlage Simulacron-3 von Daniel F. Galouye, maßgeblichen Einfluss auf Werke wie eXistenZ, Dark City, The 13th Floor (ebenfalls eine Adaption des Romans) und ganz besonders The Matrix gehabt.

Simulacron-3 gilt als einer der ersten Romane, der sich mit dem Thema der simulierten Wirklichkeit bzw. der virtuellen Realität auseinandersetzt. In seinem paranoiden Fieberwahn und seiner Hinterfragung unserer Wirklichkeit, steht er den Werken von Philip K. Dick in nichts nach. Rainer Werner Fassbinder (zusammen mit seinem Ko-Autor Fritz Müller-Scherz) gelingt es auf geniale Weise das Thema und die Stimmung des Romans einzufangen und in eine brillante Filmsprache umzusetzen.

Es geht also um eine simulierte Wirklichkeit. Fred Stiller (Klaus Löwitsch) ist seit dem plötzlichen Tod seines Vorgesetzten Professor Henry Vollmer (Adrian Hoven) neuer Direktor des IKZ, dem Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung, in einem alternativen Deutschland der 70er Jahre. An diesem Institut haben Wissenschaftler rund um Vollmer, Stiller und Kollegen einen Supercomputer namens Simulacron-1 entwickelt. Dieser Computer simuliert das Leben einer programmierten Kleinstadt, die bevölkert ist von sogenannten Identitätseinheiten, die ihr eigenes Leben führen und ein Bewusstsein entwickelt haben. Außer der Kontakteinheit Einstein (Gottfried John) weiß niemand von ihnen über die eigentliche Beschaffenheit ihrer Welt und ihrer Existenz bescheid.

In der Welt darüber regieren Stiller und der kapitalistisch orientierte Chef des IKZ Herbert Siskins (Karl-Heinz Vosgerau) diese simulierte Welt wie Götter. Der eine will den Identitätseinheiten so viel eigenen Spielraum gönnen, wie es geht, während der andere zur Gewinnmaximierung und wirtschaftlichen Prognostizierung eingreifen will. Was Stiller jedoch wirklich beschäftigt sind andere mysteriöse Geschehnisse um ihn herum. Als es Einstein gelingt von der simulierten Welt in die Wirkliche zu wechseln, wirft das Stillers Weltbild endgültig aus den Fugen.

Es ist beeindruckend zu sehen, wie es Fassbinder mit reduzierten Mitteln (aufgrund eines geringen Budgets) gelingt eine Sci-Fi Welt zu erschaffen, die auf den ersten Blick der damaligen bzw. gegenwärtigen Zeit verblüffend ähnlich ist, aber bei genauem betrachten doch grundlegend verschieden. Der Cliffhanger am Ende des ersten Teils mag vielleicht heutzutage, wo man ähnliche Szenarien aus Filmen wie Matrix, eXistenZ und Dark City kennt, nicht mehr auf gleiche Weise schockieren und überraschen, was jedoch auch heute noch ungemein faszinierend ist, sind die subtilen Hinweise und inszenatorischen Stilmittel, mit denen Fassbinder auf beinahe hinterhältige Art den Cliffhanger nicht nur andeutet, sondern auch mit dem Zuschauer spielt. Denn was zunächst wie das Verhalten einer utopischen Zukunftsvision voller sich entfremdeter und teilnahmsloser Menschen (man möchte fast Marionetten zu ihnen sagen) wirkt, entpuppt sich als perfides Spiel Seitens Fassbinders mit den Erwartungen des Zuschauers.

Kennt man die Auflösung, muss man Welt am Draht ein weiteres Mal sehen, um wirklich alle Feinheiten von Fassbinders Regie zu würdigen zu wissen. Auf weitsichtige Weise nimmt er hier schon Manierismen von Videospielen und deren computergenerierten Figuren vorweg. Gleichzeitig gelingt es ihm, seine Hinterfragung der Wirklichkeit und ob der Mensch tatsächlich so etwas wie einen freien Willen besitzt, in eine spannende Geschichte einzubauen. Beständig wirft er Fragen auf und der Zuschauer, den man quasi als letzte Instanz der Realität lesen kann, sieht er doch einen Film über eine Welt in einer Welt und lässt sich dieses Gedankenspiel dadurch ins unendliche Steigern, wird dadurch zur geistigen und emotionalen Partizipation gezwungen.

Er wird somit unfreiwillig Teil dieser Welt und seiner Figuren, besitzt aber gleichzeitig die nötige emotionale Distanz (gerade Brechts Verfremdungseffekt und überhaupt zahlreiche Merkmale des epischen Theaters finden sich immer wieder in Fassbinders Werken) um sich seine eigenen Gedanken zu machen. Obwohl es eigentlich ein wesentliches Merkmal guter Sci-Fi ist, den Leser oder Zuschauer zu eigenen Gedanken anzuregen, ihnen einen Spiegel der Gegenwart und der sozialen und gesellschaftlichen Umstände vorzuhalten, vor dem zu warnen, was kommen wird, wenn der Mensch diesen Weg weiter beschreitet, zeigt Welt am Draht, in Inszenierung und Thematik nach wie vor verblüffend aktuell, wie wenigen Sci-Fi Filmen dieses Kunststück tatsächlich gelingt.

Regie: Rainer Werner Fassbinder, Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Fritz Müller-Scherz, basierend auf dem Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye, Darsteller: Klaus Löwitsch, Barbara Valentin, Mascha Rabben, Karl-Heinz Vosgerau, Wolfgang Schenck, Günter Lamprecht, Filmlänge: 204 Minuten (99 und 105 Minuten), DVD/Blu-Ray Release: 18.04.2013