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Dear Esther

Eigentlich hat „Dear Esther“ alles, was ein erfolgreiches Spiel heutzutage braucht: Gänsehautstimmung, eine rätselhafte Story und das auch noch in einer technisch anspruchsvollen Umsetzung. Einzig und allein die Interaktion fehlt…

Bereits 2008 als Gratis-Mod für Valves Source-Engine veröffentlicht und für den Standalone-Start nochmal komplett überarbeitet, ist „Dear Esther“ definitiv an der Grenze zu dem, was man überhaupt als Spiel bezeichnen kann. Ersichtlich wird das schon beim ersten Überblick über die Steuerung: neben den vier Richtungen, in die man sich bewegt, hat man noch die Möglichkeit zu Zoomen. Kein Action-Button, keine Taste um zu schießen, zu springen oder zu laufen. Also ein Rätselspiel im Stile von „Myst“? Noch bevor man beginnt, ist man bereits verunsichert – wie soll das nur funktionieren?

Hätte man nicht zuerst einen Blick in die Optionen geworfen, wäre man wohl von der wundervollen Landschaft begeistert gewesen und hätte an solche Details wie Interaktion nicht gedacht. Der Protagonist findet sich an einem Strand wieder, einleitend liest der Erzähler dazu einen Ausschnitt aus einem Brief an Esther vor. Man erkundet den Strand, findet eine verlassene Hütte, hat die Wahl zwischen mehreren Wegen, die in verschiedene Richtungen gehen – ohne Hinweise darauf, welche der richtige sein könnte.

 

Die ersten 10 Minuten von „Dear Esther“ sind zugegebenermaßen eine Herausforderung für den geübten Gamer: man weiß eigentlich nicht so recht, wonach man sucht und rechnet damit – Macht der Gewohnheit – dass jeden Moment ein Monster aus einer Ecke springt und traditionell den wehrlosen Hauptdarsteller in Stücke reißt. Erst der Erzähler gibt einige Hinweise darauf, dass es sich hier gar nicht um ein brutales Zombie-Survival-Spiel (das Setting wäre nämlich ideal!) handelt – und das ist der Moment, an dem „Dear Esther“ seine wahre Stärke entfaltet.

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Die wenigen Teile der Geschichte, die der Erzähler beiträgt und die einzelnen Hinweise, die man darauf in der atemberaubenden Gegend zwischen Realität und Surrealismus findet, verdichten sich im Kopf des Spielers zu einem Gesamtbild, das individuell verschiedener nicht sein könnte. Hat man erst einmal die rund 90 Minuten Spielzeit hinter sich gebracht, beginnt das eigentliche Abenteuer: die Suche nach der Antwort auf all die Fragen, die „Dear Esther“ aufwirft. Ähnlich dem berüchtigten Ende von „Lost“ wird man noch Tage damit beschäftigt sein, alles zu erklären. Ohne zu viel vorweg zu nehmen: (mindestens) ein weiteres Durchspielen ist stark zu empfehlen – am besten gleich zusammen mit jemandem, mit dem man auch nächtelang über jedes noch so kleine Detail in einem Film philosophieren würde…

Ist „Dear Esther“ jetzt also überhaupt ein Spiel? Auch nach mehreren Durchläufen kann man das wohl nicht eindeutig bejahen. Aber „Dear Esther“ ist fesselnd, es regt zum Nachdenken und Diskutieren an, und es ist anders – und beschäftigt, wie ein gutes Buch oder ein ansprechender Film, auch weit über die eigentliche Spielzeit hinaus.

Plattform: PC (Version getestet), Mac (Steam), Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): NV, Erscheinungsdatum: 14.02.2012