Naokos-Lächeln-©-2011-Polyfilm

Naokos Lächeln

7
Drama

Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami hat sich mit seinen monumentalen und weltweit millionenfach verkauften Romanen längst unweigerlich ins Herz der zeitgenössischen Literatur eingeschrieben. Es war demnach wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch die Filmindustrie die Witterung seiner Geschichten aufnehmen würde. Umso erleichterter darf man darüber sein, dass die erste große Romanadaption – Naokos Lächeln (Norwegian Wood) – in den Händen des vietnamesisch-französischen Regisseurs Tran Anh Hung lag, der bereits mit seinen vorherigen Projekten (u. a. Der Duft der grünen Papaya, Cyclo) für Begeisterung auf Filmfestivals sorgte…

„I once had a girl, or should I say, she once had me.“ So lauten die ersten Zeilen aus dem bittersüß melancholischen Beatles Song Norwegian Wood, den Murakami im Jahr 1987 zum Romantitel umfunktionierte. Erzählt wird in seinem Buch sowie auch in Anh Hungs Verfilmung  eine nostalgische Geschichte über die Sehnsucht der Jugend, die Magie der ersten Liebe, das Erkunden von Sexualität sowie über die zerreißende Macht von Verlust und Schmerz. 

Tokio in den späten Sechzigerjahren. Während die anderen Studenten auf den Straßen gegen das Establishment rebellieren, hat der junge Toru Watanabe seinen eigenen Kampf zu bestreiten. Denn in sein studentisches Leben tritt die todtraurige und labile Naoko, mit der ihn seit dem einstigen Selbstmord des gemeinsamen besten Freundes eine tiefe Seelenverwandtschaft verbindet. Als Torus Gefühlsdickicht dann auch noch von der temperamentvollen und selbstbewussten Midori aufgewühlt wird und er nebenbei miterlebt, wie Naoko langsam in den Abgründen ihrer erkrankten Seele zu versinken droht, muss sich der hin- und hergerissene Toru bald entscheiden – zwischen alter und neuer Liebe, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen den Lebenden und den Toten. 

Wie bei jeder Literaturverfilmung stellt sich auch im Fall von Naokos Lächeln das Problem, die Komplexität eines 400-seitigen Buches in einen zweistündigen Film zu verpacken. Und während viele Adaptionen kläglich daran scheitern, der durch die geschriebenen Worte beflügelten Imaginationskraft der Leser mit einer ebenbürtigen visuell-akustischen Bilderwelt gerecht zu werden, gelingt es Tran Anh Hung durchaus, ein eigenständiges und kraftvolles Filmwerk zu erschaffen, das die literarische Magie auf der Leinwand spürbar bleiben lässt.

So werden in Naokos Lächeln das Innenleben der Figuren und die großen Gefühle des Romans in betörend eindringlicher Weise auf die Bildsprache übertragen. In den Kamerabewegungen sowie in der grandiosen musikalischen Untermalung – komponiert von Jonny Greenwood (Radiohead) – spiegelt sich das emotionale Chaos der Protagonisten. Und während Kostüme und Ausstattung mit authentischem Charme den Geist der späten Sechziger nachempfinden, legt der Film mit seinen atemberaubenden Naturaufnahmen und magischen Dämmerungs-Farbmomenten am Boden der abgrundtiefen Traurigkeit Naokos eine düstere Schönheit frei, die schlichtweg überwältigt.     

Das besondere und gänzlich andere Wesen des asiatischen Films tritt hier jedoch nicht nur in den betörenden Landschaftsbildern und Farben zum Vorschein, sondern auch in einem ungewöhnlich langsamen Zeitrhythmus. So lässt sich Naokos Lächeln ausgesprochen viel Zeit für den Aufbau einer intensiven Gefühlswelt, für Sinnlichkeit, körperliche Nähe, Melancholie, Ohnmacht und Schmerz und entwickelt gerade dadurch einen magischen, fast tranceartigen Sog, den man im westlichen Kino oftmals vergeblich sucht.

Naokos Lächeln ist ausgedehntes, bittersüßes bis tieftrauriges Gefühlskino mit asiatischem Flair; ein träumerisch wandelnder Film, der mit überzeugender Eindringlichkeit und wunderbaren Hauptdarstellern erzählt, wie der Verlust eines geliebten Menschen das Leben für immer prägen wird; und ein flüsternder Film, der gelegentlich mit einer derartigen Wucht aufschreit, dass einem das Blut in den Adern gefriert. 

Regie & Drehbuch: Tran Anh Hung, Romanvorlage: Haruki Murakami, Darsteller: Kenichi Matsuyama, Rinko Kikuchi, Kiko Mizuhara, Reika Kirishima, Kengo Kora, Eriko Hatsune, Tetsuji Tamayama, Laufzeit: 133 Minuten, Filmstart: 02. 09. 2011