Titane
Verstörend ist an Julia Ducournaus fetischistischem Body-Horror Titane weniger die exzessive Bildsprache als der dialektische Konservativismus eines Werkes fixiert darauf, das Publikum optisch und dramaturgisch zu überfahren. Die Grenze zwischen Progressivität und Reaktionismus zeigt sich im zweiten Spielfilm der französischen Regisseurin als ähnlich durchlässig wie die zwischen Horror und Albernheit, Originalität und Derivativem, Authentizität und Kalkulation.
Paradoxerweise ist diese Ambivalenz nicht unpassend für eine Inszenierung besessen von Extremen. Selbige werden dann interessant, wenn sie gesellschaftlich konstruierte Gegenpole wie männlich/weiblich, Familie/Fremde, Mensch/Maschine aufgreifen. Doch statt psychologische und soziologische Untiefen gezielt gesuchter Konfliktthemen auszuloten, zelebriert Ducournau deren Schock-Potenzial.
Letztes wird wortwörtlich zum Motor der schmerzverliebten Story des mörderischen Go-Go-Girls Alexis (Agathe Rousselle), das sich auf der Flucht vor der Polizei als vermisster Sohn des Feuerwehrhauptmanns Vincent (Vincent Lindon) ausgibt. Die Überschneidung von Autoaggression und Autoerotik (konkreter: Auto-Erotik) unterstreicht den Voyeurismus der ambivalenten Provokation.
Deren Ästhetisierung gequälter Frauenkörper konterkariert nicht als Einziges einen feministischen Subtext. Obsessive Szenen physischer Modifikation zelebrieren die symbolische Assimilation an restriktive Normen. Motive wie Projektion, Objektifizierung und Gender-Konformität zitiert die aggressive Inszenierung ernüchternd oberflächlich. Die männliche Perspektive bestimmt in mehrerer Hinsicht eine Parabel, deren formelle Radikalität zu selten eine systemkritische Entsprechung findet.
Regie und Drehbuch: Julia Ducournau, Darsteller: Vincent Lindon, Agathe Rousselle, Garance Marillier, Laïs Salameh, Mara Cisse, Marin Judas, Filmlänge: 108 Minuten, gezeigt auf dem /slash Filmfestival 2021