Paradies-Liebe-©-2012-Stadtkino-Filmverleih

Interview mit Margarethe Tiesel

Anlässlich des Kinostarts von Paradies: Liebe, dem Auftakt zu Ulrich Seidls Paradies-Trilogie, hat pressplay mit der Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel gesprochen. Mit Ausstrahlung und Improvisationsgeschick gibt sie eine Sextouristin in Kenia und war dafür beim Europäischen Filmpreis als „Beste Schauspielerin“ nominiert.

pressplay: Ich habe mir heute Vormittag Paradies: Liebe, den ersten Teil der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl angeschaut. Sie spielen darin Teresa, eine Frau, die auf Sexurlaub nach Kenia fährt. Urlaub und Sex klingt paradiesisch – ist das so?

Margarethe Tiesel: Na ja, wenn man nicht dreht, wahrscheinlich schon. (lacht)

Und für Teresa? Man hat den Eindruck, dass es ihr dort nicht in erster Linie um den Sex geht. Ulrich Seidl drückt es mit dem Begriff „Sehnsucht“ aus, die alle drei Frauen der Trilogie suchen. Wonach sehnt sich Teresa?

Teresa ist, glaube ich, schon eine Figur, die nicht nur als Sextouristin dort ist, die mehr sucht, die Liebe sucht. Und ihre Freundin, die cooler ist, überredet sie nach Afrika zu fahren und dort die „heißen Jungs“ kennen zu lernen und sich vielleicht zu verlieben. Die Schwierigkeit, die Teresa hat, ist, dass es nicht einfach darum geht, heißen Sex zu haben, sondern dass sie auch immer mit der Seele und dem Herzen dabei sein muss. Das sind ihre Anfangsschwierigkeiten, dass sie das nicht schafft. Dann wird sie enttäuscht, weil sie merkt, dass das ein hartes Geschäft ist, Geld gegen Sex, und sie ändert ihre Haltung, wird sehr fordernd und massiv.

Ulrich Seidl hat eine eigene Art mit Schauspielern zu arbeiten. Sie haben beispielsweise kein Drehbuch gesehen. Wie kann man sich das vorstellen?

Er beschreibt die Situation kurz und dann improvisiert man, muss die Szene in eigenen Worten sprechen.

Das klingt, als könnte eine Szene unendlich viele Takes haben. Wird viel wiederholt?

Manchmal muss man viel wiederholen, manchmal passt der erste Take. Man muss auch ein bisschen aufpassen, weil nicht chronologisch gedreht wurde. Wenn man etwas Falsches sagt, muss wiederholt werden, wenn man zum Beispiel etwas gesagt hat, was man noch gar nicht wissen konnte. Aber im besten Fall ist es ein Take und dann ist es gemacht.

Sie spielen eine Figur, aber andererseits sagen Schauspieler, dass sie immer auch etwas Persönliches in ihre Rolle legen. Ist es so, gerade wenn viel improvisiert wird, dass das Persönliche noch stärker zum Ausdruck kommt?

Sicher. Sicher ist es so, dass man mehr von mir sieht, davon, was mich jetzt ausmacht als Mensch. Da ist mehr von mir drin, als wenn ich beispielsweise eine Rolle im Theater spiele, wo auch viel Persönliches drinnen stecken kann, muss sogar, aber die Teresa bin zum Großteil schon ich, vielleicht bin ich nicht so enttäuscht wie sie, auch nicht so brutal und massiv, wie sie manchmal sein kann.

Ihre Rolle kennt auch freizügige Momente, sehr viele sogar. Wie ist es ihnen dabei mit ihrer Körperlichkeit gegangen?

Na ja, leicht ist es nicht, das ist schon klar. Man muss die eigenen Schamgrenzen überschreiten, aber ich habe es irgendwie geschafft. Ulrich Seidl hat immer gesagt: „Frau Tiesel, es passiert nichts, was sie nicht wollen.“ Und daran habe ich mich dann angehalten. Wenn jemand von dir verlangt, dass du etwas machen musst, dann ist es schwieriger. Aber er hat nicht gesagt, was wir machen sollen, das war ja alles Improvisation.

Die Beachboys, die im Film zu sehen sind, sind auch im richtigen Leben Beachboys. Sie sind professionelle Schauspielerin, wie haben Sie den Unterschied beim Dreh empfunden? Brauchen Laiendarsteller mehr Betreuung?

Ja, sie brauchen etwas mehr Unterstützung, weil sie sich in dem Geschäft nicht auskennen. Sie wissen oft nicht, was sie machen sollen, wenn der Regisseur etwas sagt oder vergessen es wieder. Man muss ihnen ein wenig helfen, aber andererseits sind es die Beachboys gewohnt, den ganzen Tag lang Theater zu spielen, eigentlich sind sie eh Schauspieler …

Das merkt man vor allem bei dem, was die Beachboys sagen, dabei entsteht der Eindruck, dass sei genau das, was die Frauen hören wollen …

Ja, genau.

Und auch das Prozedere ums Bezahlen geht in diese Richtung. Bezahlt wird nicht für den Sex, sondern als Unterstützung für die Familie, für medizinische Versorgung …

Genau. Es ist nicht so, wie wenn man ins Puff geht. So stelle ich mir das vor, bei den Männern, da legst du das Geld auf den Tisch und dann bekommst du deine Leistung dafür. Das ist anders … die Beachboys sagen irgendwann, dass sie Geld brauchen.

Vorher sagt er: „Ich will nicht Geld, ich will Liebe.“

Ja, und dann passiert doch etwas, dass der Großvater einen Unfall hat oder dass jemand im Gefängnis ist. Irgend etwas passiert immer, dass die Frauen zahlen müssen.

Und was haben die Beachboys für ein Selbstverständnis? Sehen sie sich als Prostituierte?

Also, wenn jemand eine Sugarmama hat, dann ist er im sozialen Status gestiegen. Es ist cool.

Teresa wird sogar in eine Schule mitgenommen. Ist es wirklich so, dass die Geldgeberin quasi weitergereicht wird, um auch woanders eine Spende abzugeben?

Das ist unterschiedlich. Zum Beispiel hat mich ein Beachboy, der im Film gespielt hat, zu seinen Cousinen geschleppt, wo der Vater an Aids gestorben ist, da musste ich dann zahlen. Ich wurde auch in die Schule mitgenommen, die zwei haben mich begrüßt und dann musste ich ihnen Geld geben. Aber es ist ganz klar, dass das so ist und dass ich etwas hergebe, sie haben keine Bücher, sie haben kein … es ist so.

Bei männlichen Sextouristen spricht man schnell von Ausbeutung der ansässigen Frauen. Die Frauengruppe um Teresa zeigt in ihrem Verhalten den Beachboys gegenüber auch nicht immer die feine Art. Woher kommt das? Ist ihr Verhalten rassistisch? Oder drückt sich darin der Objektstatus der Beachboys aus? Man kauft sich etwas …

Ja, beides. Teresa merkt irgendwann, dass es nur ein pures Geschäft ist und fühlt sich nicht wahrgenommen, sie fühlt sich gekränkt, dadurch wird man vielleicht irgendwann auch böse. Wenn du schwer verletzt bist, dann fängst du an auch andere zu verletzen. Ich weiß nicht, ob das rassistisch ist … ja, kann schon sein, dass es das auch ist. Aber Teresa will nichts kaufen, sie will Liebe.

Im Gegensatz zu den anderen Frauen, bei denen die Kaufhaltung deutlich zum Ausdruck kommt …

Bei meiner Freundin schon, ja, die ist viel klarer, sagt: „Ich hole mir den Sex, den ich brauche.“ Da gibt es eher einen Objektstatus, aber bei Teresa finde ich ihn eigentlich nicht. Sie probiert es zum Schluss, aber hat dann das Pech, dass er das nicht kann.

Eine allgemeine Frage. Sie spielen am Theater, sind in Fernsehproduktionen und in Kinofilmen zu sehen. Wie würden Sie den Unterschied in der Arbeit für die drei Medien beschreiben?

Am Theater hast du einen vorgegebenen Text, das ist klar, aber du versuchst mit deiner Figur dem Text gerecht zu werden. Im Film ist es so, dass du stark nach Typ besetzt bist. Und bei Seidl ist es noch einmal etwas anderes, das ist dann ganz persönlich.

Generell wird man also im Film nach Schema besetzt?

Ja, ich bin immer die Wirtin, die Mutter … (lacht)

Gibt es dann eine Rolle, die man unbedingt spielen möchte?

Ich möchte wieder eine Rolle bei Ulrich Seidl spielen, das macht am meisten Spaß.

Sie sind für die Rolle der Teresa als „Beste Schauspielerin“ für den Europäischen Filmpreis nominiert. Die Preisverleihung findet am 1. Dezember statt. Sind sie schon nervös?

Ja, ich weiß nicht, was ich anziehen soll. Was zieht man da an? (lacht) Ich will gar nicht gewinnen, dann müsste ich etwas sagen. Nein, das ist jetzt kokett, aber ein bisschen ist schon etwas Wahres dran …

Ich würde Ihnen den Preis jedenfalls wünschen. Danke für das Gespräch.

(lacht) Dann müssen Sie mir aber die Rede schreiben …