Il-Traditore-(c)-2019-Viennale(2)

Der Verräter

5
Drama

Der italienische Charakter steht vor Gericht. Nicht nur diegetisch, sondern auch im Subtext des Biopics, über den Mann, welcher den gefürchteten Mafiaclan Cosa Nostra zu Fall brachte.

Italien während der 1980er Jahre. Die geheimen Machenschaften unterschiedlicher Mafiaclans, beherrschen Italien, einer davon, die Cosa Nostra steht ganz oben in der Hierarchie. Ehrenhafte Werte und Taten verfallen zunehmend mit voranschreitender Zeit. Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino), sogenannter „Boss zweier Welten“, zieht mit seiner Familie nach Brasilien, um den andauernden Clankriegen zu entkommen. In naher Zukunft ist er jedoch gezwungen nach Italien zurückzukehren und eine Entscheidung zu treffen, die sein eigenes Leben und das Schicksal der Cosa Nostra für immer verändern wird.

Der italienische Regisseur und Drehbuchautor Marco Bellocchio, bringt mit Der Verräter (Il Traditore) einen beinahe dokumentarischen, figurenzentrierten Mafiafilm auf die Leinwand, welcher bekannten Genrekonventionen wiederspricht. Dies ist jedoch kein Negativargument, vielmehr ist es ein Film, der mit der Mafia-Thematik anders umgeht. Durch eine sehr interessante und wahre Grundgeschichte vermittelt Der Verräter ein gutes Gefühl für das „Mafia-Brauchtum“. Er verhandelt stetig den Wertezerfall, welcher sich zwischen der alten und der neuen Generation von Mafiosi vollzieht. Der Film bleibt über die gesamte Laufzeit sehr nahe an der Hauptfigur, Tommaso Buscetta, der für die alten Werte der Cosa Nostra brennt. Leider wird der so zentralen Hauptfigur sehr wenig dramaturgischer Boden zugeschrieben. Im Film findet sich eine einzige Szene, welche der Zuschauerin, dem Zuschauer mehr über den Mensch Tommaso Buscetta vermittelt, als der restliche 145 Minuten-Film. Genau, die Laufzeit. Der Verräter ist definitiv zu lang, gerade im Mittelteil zieht sich der Film immens, nur um nichts neues zu erzählen, er plätschert einfach so dahin. Auch die bis dahin interessanten Aspekte des Innenlebens und der Wertevorstellung der Cosa Nostra, verschwinden immer mehr in audiovisueller Müdigkeit.

Hervorheben muss man die Leistung von Pierfrancesco Favino, welcher die sehr zentrale Hauptfigur wunderbar spielt. Er präsentiert Buscetta als einen eigennützigen Narzissten, der seiner Enttäuschung gegenüber der Modernisierung der Cosa Nostra freien Lauf lässt, indem er sie verrät. Schauspielerisch wirklich einwandfrei. Gerade wenn der Film den historisch-dokumentarischen Charakter verlässt, um in die Gefühlswelt des Protagonisten einzutauchen und zu ergründen wieso er seinen Clan und gleichzeitig seine Vergangenheit verrät, präsentiert sich Der Verräter am stärksten. Neben der Suche nach dem Wieso sind auch die Gerichtsszenen wahre Höhepunkte im Film. Hier glänzt Bellocchio mit wunderbar karnevalesker Inszenierung. Es zeigt nicht nur die Ambivalenz der Wandlung der Cosa Nostra sondern auch auf die der sozio-politischen Auswirkungen, welche der Prozess für ganz Italien mit sich bringt. Mit viel gutem, aber nicht aufdringlichem Humor, sind die Szenen vor Gericht die unterhaltsamsten.

Die Kamera begleitet sehr nah die Hauptfigur, wahrt jedoch eine gewisse Distanz zu einem Rechtsfall, der historisch stattgefunden hat. Dadurch erzeugt sie diese bereits angesprochene dokumentarische Perspektive, welche sie szenenweise immer wieder verlässt und wieder einnimmt. Das hat zur Folge, dass die Bilder relativ unaufgeregt wirken, man darf sich nicht imposante, künstlerisch anspruchsvolle Bildkompositionen erwarten. Auch der begleitende Score hält sich in Der Verräter stark zurück. Nicht dramatisierend, nicht unterhaltend, nicht überzeichnend bespielt die Musik die figurenzentrierte Handlung. Alles eher mittelmäßig, jedoch passend zur Perspektive des Films.

Der Verräter ist ein Film, welcher sich im Kontext eines historischen Ereignisses sehr stark für seine Hauptfigur interessiert, dies auch in Inszenierung und Dramaturgie fokussiert. Ein Film, der seine Stärken genau in diesen Momenten findet, eine sehr interessante Grundgeschichte bietet und definitiv zu lang ist. Based on true events.

Regie: Marco Bellocchio, Drehbuch: Marco Bellocchio, Valia Santella, Ludovica Rampoldi, Francesco Piccolo, Darsteller: Pierfrancesco Favino, Luigi Lo Cascio, Fausto Russo Alesi, Fabrizio, Ferracane, Filmlänge: 145 Minuten, gezeigt auf der Viennale 2019