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Festival der Nationen 2016 – Zweiter Nachbericht

Die erste Hälfte des Festival der Nationen ist geschafft. Halbzeit also. Es geht weiter mit noch mehr Filmen, unter anderem einem, der ein Jahr zuvor in Cannes Premiere hatte, einem BBQ, einer Schiffsrundfahrt und dem ersten Skandal der Festivalgeschichte.

Schon eigenartig, da gibt es das Festival der Nationen schon seit 44 Jahren und doch kam es bisher ohne großartige Aufreger aus. Nun, das hat sich dieses Jahr, zumindest was die arme Jury betrifft, die es am meisten getroffen hat, geändert.

Tolle Filme und der erste Skandal der Festivalgeschichte

Gleich der erste Film des Tages haut Jury und den Großteil des Publikums um. Ten Buildings Away vom israelischen Filmemacher Miki Polonski, einem 25 minütigen Kurzfilm, der letztes Jahr in Cannes seine Premiere feierte und nun, nach einem Jahr am Ende seiner Filmfestivalreise steht, erzählt die Geschichte von zwei Brüdern gefangen zwischen tristem Alltag, gefährlichen Wettrennen über Autobahnen und einer zerrütteten Familie. Besonders beeindruckend an dem Film ist nicht nur die Tatsache, dass der Filmemacher mit Laiendarstellern gearbeitet hat und selbst von den zwei Brüdern grandiose Leistungen herausholt, sondern die formvollendete Bildsprache. Miki Polonski zeigt mit seinem Kurzfilm deutlich, dass er ein Filmemacher mit eigenem Stil ist, der zu seiner eigenen visuellen Sprache und Ausdrucksmöglichkeit gefunden hat und somit eine einzigartige Stimme nicht nur des israelischen Kinos, sondern des Kinos an sich darstellt.

Der Animationsfilm Watching the Ball, eine Kooperation mehrere Filmemacher, der das Massenphänomen Fußball auf unterhaltsame und originelle Weise schildert, und der extrem knappe und knackige The Culprit von Michael Rittmannsberger, der den Zuschauer in nur drei Minuten auf eine falsche Fährte lockt nur um am Ende mit einem Schlag in die Magengrube den Zuschauer zu schockieren, sind weitere Beweise für die Qualität der Filme und die Exitenzberechtigung des Kurzfilms als eigene Kunstform.

Etwas schwieriger war da schon die Dokumentation Großer Löwe von Rupert Höller, die vom Wiener Haustierfriedhof und vor allem von Slobodan und seinem dort begrabenen Hund Rocky erzählt. Obwohl sich der Film einer interessanten Thematik bedient und der komplexen, intensiven Beziehung, die ein Mensch zu einem Tier haben kann, die weit über den Tod hinausreicht, scheinen Publikum und Jury so ihre Probleme mit dem Film zu haben. Für viele kann natürlich die Thematik und somit auch die geschilderte Beziehung zwischen Slobodan und Rocky schwer nachvollziehbar sein, was zu einigen Lachern geführt hat, die sich der Film jedoch nicht verdient hat. Denn wieso sollte die Beziehung und der Verlust des Schmerzes, den ein Mensch zu einem Tier empfindet, lächerlicher sein als die zu einem Menschen? Bloß weil es für viele Menschen nicht nachvollziehbar ist, macht das aus der Dokumentation bzw. dem Protagonisten, seiner Beziehung zu Rocky und seinem Verlust und nach wie vor vorhandenem Schmerz nichts lächerliches oder komisches.

Weiter geht es mit Filmen der Schule Friedl Kubelkas für unabhängigen Film. Doch überschattet werden sie von der anschließenden Jurydiskussion, wo einer der Studenten sich ungebeten auf die Bühne begibt, zur Jury setzt, keinerlei Kritik oder negatives Feedback zulässt und mit der Juryvorsitzenden Esther Wenger auch noch (beinahe) zum Streiten beginnt. Es dauert eine Zeit, bis es Esther gelingt den Schüler von der Bühne zu scheuchen. Die Stimmung war danach entsprechend gereizt und aufgeheizt und alle aus der Jury schienen, sagen wir mal, gezeichnet von dem Vorfall zu sein, denn die Aggressivität der Situation saß noch allen in den Knochen.

Nach einer kurzen Verschnaufpause und Abkühlung der Gemüter, geht es mit dem österreichischen Film Nebenan von Barbara S. Müller weiter. Eine frustrierte Ehefrau, die mit ihrem wohlhabenden Mann am Land in einer kleinen Ortschaft lebt, verliert ihre beste Freundin und Nachbarin Margit, weil sie aus dem Ort wegzieht. Lange schon spielt die Ehefrau mit dem Gedanken ihren Mann zu verlassen, doch jetzt scheint sie endlich genug Kraft zu haben und sorgt an ihrem letzten gemeinsamen Abend auch schnell noch für neuen Gesprächsstoff für die Ortschaft. Ursprünglich war der Film als Theaterstück konzipiert, doch der Regisseurin ist es durchaus gelungen den Stoff filmisch zu adaptieren. Das Drehbuch verliert im Verlauf zwar etwas an Dichte und schwächelt vor allem im Vergleich zur starken Atmosphäre und der Hauptdarstellerin des Films.

Die größte Überraschung war aber der österreichische Tanzfilm Pied Piper Reloaded von Franz Günter Moser-Kindler, eine Neuinterpretation des Rattenfängers von Hameln. Eine harmonische Symbiose aus Bild, Musik und Tanz. Ohne Dialoge wird gekonnt eine Handlung in wunderbaren schwarz-weiß Bildern erzählt. Auch wenn man sonst kein Fan von Tanzfilmen sein mag, ist Franz Günter Moser-Kindler, der bisher ausschließlich am Theater tätig war, ein beeindruckender Debütfilm gelungen.

Das Ende

Das Festival der Nationen war ja ursprünglich ein reines Amateurfilmfestival. Nicht in seiner Organisation natürlich, sondern was die gezeigten Filme betrifft. Über die Jahre hinweg kamen auch professionell gedrehte Filme von angehenden oder bereits etablierten Filmemachern hinzu. Gut also, dass das Festival auch seinen Wurzeln huldigt und gleich einen ganzen Vormittag ausschließlich dem Amateurfilm widmet. Dass diese Bezeichnung aber keineswegs abwertend zu verstehen ist, beweisen die gezeigten Filme.

Die beiden Dokumentationen Amvrakikos von Jannis Karayannakos und Klaus Krafft, über das Ökosystem des dortigen Golfs in Griechenland und in welcher Gefahr er sich befindet, und Patagoniens Küstenbewohner von Erich und Christl Herold über die tierischen Einwohner an der stürmischen, aber malerisch schönen Küste Patagoniens zeigen gleich, dass mit viel Liebe zu Film und Thematik auch mit wenig bis gar keinem Budget wichtige bzw. wunderbar bebilderte Dokumentationen entstehen können.

Humoristisches Highlight, mit herrlichem britischen Witz, ist der Kurzfilm Losing It, über eine Frau, die auf einer Polizeiwache Anzeige erstattet, weil ihr (echter) rechter Arm gestohlen wurde. Was sich in dem kleinen Verhörraum an Wortwitz und genial pointiertem Humor abspielt, zeigt wunderbar, wie gut ein Film alleine durch großartiges Drehbuch und Dialoge sein kann. Sun Comes Shining von Silvano Plank ist wieder ganz anders und ein absurd überdrehter Actionthriller über eine Frau, die sich aus den Fängen der Mafia befreit. Er fängt beinahe wie ein riesiger Blockbuster an und hat zwar einige Mängel im Drehbuch, die er aber mit einer aufwändigen Produktion und sichtlicher Spaß am Machen wieder etwas ausgleicht.

Zauber der Nacht vom ebenfalls anwesenden Bernhard Zimmermann ist ein technisch perfekt abgefilmtes surreales Märchen, eine sehr freie Interpretation der Eiskönigin, dargestellt von sich bewegenden Schaufensterpuppen und mit Musik untermalt. Gerade der Amateurblock macht deutlich, dass auch der Amateurfilm durchaus seine absolute Existenzberechtigung hat und auf jeden Fall das nötige Forum verdient um diese Filme zu zeigen. Was diesen Kurzfilmen an Budget und professioneller Schulung mangelt, machen sie mit originellen Ideen, Einfallsreichtum oder Liebe zum Film und zu ihren Themen bzw. Geschichten wieder weg.

Der nächste Block ist wieder bunt gemischt. Einerseits mit dem Western-Experiment White Rose Red von Juliana Neuhuber, der versucht verschiedene Realitätsebenen in ein vermeintlich klassisches Westernsetting zu verpacken und zeigt, dass man beim Film durchaus auch Raum für Experimente offen lassen sollte, selbst wenn man dabei teils scheitert. Being a Woman, der erste Film des letzten Filmblocks des Festivals der Nationen, ist eine einfühlsame iranische Geschichte über eine Frau, die sich selbst emanzipiert in einer Gesellschaft, in der das noch weitaus schwerer ist als in der westlichen Welt. Der Film, vor allem der Anfang mit seinen zahlreichen schnellen Schnitten, ist wohl etwas zu aggressiv erzählt, angesichts der sensiblen Thematik, überzeugt letztlich aber doch mit einer gut erzählten Geschichte und einer starken Protagonistin.

Der letzte Film des Festivals steht also auch an. Pitter Patter goes my Heart von Christoph Rainer fängt an wie ein charmantes Märchen, ähnlich wie Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amelie. Zwar gelingt es der Protagonistin in Rainers Film nie sich aus ihrer wahnsinnigen Besessenheit einer ausweglosen Liebe zu befreien, aber sie findet eine radikalere Lösung. Damit endet der Film-Marathon des Festivals, vielleicht nicht umbedingt mit einem Knall, sondern mit einem Flüstern, aber dafür mit einem sehr intensiven.

Rahmenprogramm II

Zuerst das BBQ am Attersee und diesmal, am einzigen Tag der Woche, ist den Besuchern das Wetter positiv gestimmt. Bei beinahe kitschig idyllischem Sonnenuntergang wird ordentlich zugelangt beim Essen und, wie könnte es auch anders sein, beim Trinken. Der Abend, wie manch andere auch, steht ganz im Zeichen des Schnaps. Allerdings hätte man manche Filmemacher, die aus dem Ausland herkamen, vor diesem teuflischen Gesöff vorwarnen sollen. Als Österreicher wachst man ja quasi damit auf und vergisst daher leicht, dass man Schnaps in anderen Ländern gar nicht kennt. Von daher verschwinden da schnell mal ein paar Stamperl, weil es so gut schmeckt und man am Anfang gar nichts von der Wirkung merkt. Mächtig großer Fehler.

Diesmal stürzt sich zwar niemand in den Attersee, aber dafür wird der Abend nicht weniger feucht-fröhlich. Erst am nächsten Tag erwartet die Besucher der Weltuntergang. Nicht nur was den Kater betrifft, sondern vor allem die Schifffahrt rund um den Attersee. Da war wirklich alles dabei, von Wind und Regen, nahe Blitzeinschläge und mächtige Donner, stürmischer Seegang und eine, dem befürchteten Kentern, trotzende Kapelle die unermüdlich im Inneren musiziert hat, komme was da wolle. Aber trotz Kälte und vielleicht gerade wegen dem apokalyptischen Wetter war es eine Schifffahrt, die man nicht so schnell vergisst.

Offizielle Homepage des Festivals der Nationen

Foto-Copyright BBQ und Schifffahrt: Authentic