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Assassin’s Creed Syndicate

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Action-Adventure

Ein neues Jahr, ein neues Assassin’s Creed: Ubisofts Cashcow ist, kaum jemand dürfte sich wundern, mit einem neuen Ableger auch im anstehenden Weihnachtsgeschäft vertreten. Mit Assassin’s Creed Syndicate darf der Spieler nun in London zur Zeit der industriellen Revolution meucheln gehen.

Die Assassin’s Creed-Reihe nimmt ja für Videospiel-Verhältnisse schon fast eine Sonderrolle ein: Trotz kleinerer Fehlschläge erweist sie sich als geradezu krisensicher und schafft es dabei immer wieder mit interessanten Settings auf sich aufmerksam zu machen. Überdies konnte sich auch eine über alle Teile erstreckende Rahmenhandlung rund um den erbitterten Kampf zwischen Assassinen und Templer etablieren, die zwar ab- und an konfus, zumeist jedoch einigermaßen sinnstiftend in die Story der einzelnen Ableger eingebettet wurde. Besonders bemerkenswert erscheint zudem das (manchmal) offene Ohr der Entwickler für die Aufschreie, Klagen und Wünsche der Videospiel-Community, was sich etwa im hervorragenden Assassin’s Creed: Blag Flag und dessen Fokus auf Seeschlachten, die im Heimkonsolen-Vorgänger Assassin’s Creed III für große Verzückung gesorgt haben, widerspiegelt.

Weniger ist besser

Liest man sich nun die diversen Q&As und Pressemeldungen zum neuen Assassin’s Creed Syndicate durch, so kann auch hier der Eindruck erweckt werden, das nach dem vor technischen Fehler strotzenden, mit sinnentleertem Koop-Multiplayer erweiterten und letztendlich von der internationalen Kritik geschmähten Assassin’s Creed Unity eine Rückbesinnung auf alte Stärken vorgenommen wurde. Vorbei also die Zeit, in der die konvolute Story inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen eingefügt wurde: Assassin’s Creed II und dessen in Friedenszeiten spielende Zeitalter stellt laut Entwickler-Aussagen die Vorlage für den neuesten Teil der Serie dar, nun eben im London des späten 19. Jahrhunderts. Der Multiplayer bzw. Co-Op-Spielmodus wurde komplett entfernt, auch Gimmicks wie die Begleit-App sucht man glücklicherweise vergebens. Ein etwa 500 MB großer Patch erwartet den Spieler zwar vor dem Start des Titel, gröbere grafische Bugs, Glitches, Framerate-Probleme oder dergleichen finden sich vielleicht auch deswegen im kommenden Spielverlauf nicht.

So darf der Spieler nun einen auf das wesentliche reduzierten, reinen Singleplayer erwarten, in dem er in die Rolle von gleich zwei Assassinen schlüpfen darf: Das Geschwisterpaar Jacob und Evie Frye gilt es des durch ihre jeweiligen Handlungsstränge zu führen, durchbrochen wird die Erzählung wie gehabt mittels Sci-Fi-Setting, in dem die Assassin’s Creed-Titel ja eigentlich spielen (weiter darauf einzugehen würde den Rahmen des Review sprengen). Abseits jener sporadisch eingefügten und nun zu nichtspielbaren Sequenzen degradierten Elementen gilt es, die britische Metropole unsicher zu machen.

Details, Details, Details

An jeder Ecke der Großstadt ist der unaufhaltsame (technische) Fortschritt des viktorianischen Zeitalters sichtbar: Elektrizität, Dampfzüge und Verkehrsbildung auf der einen Seite, Kinderarbeit, schwarzer Rauch aus Industrieschloten und die verdreckte Themse auf der anderen Seite. Wie immer bildet die Assassin’s Creed-Reihe ihre Vorlage mit absoluter Brillanz und enormen Detailreichtum ab, auch das London in Assassin’s Creed Syndicate macht dabei keine Ausnahme. Wenn etwa im Morgengrauen die ersten Vögel zu zwitschern beginnen, der Lichteinfall durch die Fenster eines gut besuchten Pubs ein buntes Farbspektrum zaubert oder ein in Gedanken verlorener Fischer das Gleichgewicht auf seinem Boot verliert und dramatisch in die braune Themse fällt, dann lässt sich dies nur mit Staunen seitens des Spielers quittieren.

Zurück zum Wesentlichen: Technologischer Fortschritt bedeutet auch Weiterentwicklung in Sachen Architektur, was sich im Falle Londons in breiteren Straßen, langen Häuserschluchten und höheren Gebäuden abbildet. Um den Spielfluss nicht vollständig zum Erliegen zu bringen (die Häuser müssen ja auch via Parkour-Einlagen überwunden bzw. erklommen werden), haben die Entwickler von Ubisoft Quebec auf altbekannte Mittel zurückgegriffen. Der Handschuh der Assassinen erhält nun einen Seilwerfer der Marke Batman, um schnell an Fassaden hochzuklettern bzw. von Dach zu Dach zu traversieren. Was in der Theorie praktisch und vor allem logisch klingt, funktioniert in der Praxis anders als erwartet: Weniger flexibel einsetzbar als in den Titeln mit dem dunklen Ritter, ermöglicht der Seilwerfer nicht die gleiche Bewegungsvielfalt und tritt so nur vergleichsweise vereinzelt und gut geplant in Aktion. Ob das von den Entwicklern so geplant war kann nur vermutet werden, das Gameplay erhält dadurch immerhin etwas Finesse und regt zu genauerer Beobachtung der Umgebung an.

GTA London, mit Pferdekutschen

Aufgrund der langen Ladezeiten zwischen den einzelnen „Fast-Travel“-Punkten (die üblichen Aussichtspunkte auf Kirchen, Türmen, etc.) empfiehlt sich auch zunehmend die Nutzung der vielen unterschiedlichen Pferdekutschen: In bester GTA– oder vielmehr Sleeping Dogs-Manier können diese gekapert werden, Schusswechsel mit Gegnern auf feindlichen Gespannen, Ramm-Attacken oder Kämpfe am Kutschendach inklusive. Der Linksverkehr trägt da nur zusätzlich zum vergnüglichen Chaos bei. Die Implementierung der ein- bis zwei-PS-Vehikel ist dabei wohl überlegt worden, sind sie doch auch bei einem Großteil der abwechslungsreich gestalteten Nebenmissionen gleichermaßen essentiell wie gut gelungen.

Überhaupt scheint der Titel stark über die Verbesserung von Details gewachsen zu sein: Das Kampf-Gameplay definiert sich zwar immer noch über präzise Konterattacken, ist aber dank der Kombinationsmöglichkeiten mit der Umgebung, den Gadgets und der Waffenauswahl deutlich unterhaltsamer als bei den diversen Vorgängern. Auch das Stealth-Gameplay hat dank des Seilwerfers und der noch weiter erhöhten Vertikalität der offenen Spielwelt ihren Reiz erhalten. Mit dem Einsatz von zwei schnell wechselbaren Charakteren wurde auf die Präferenzen der Spieler gesetzt: Evie erweist sich als geschickte Attentäterin mit klarem Stealth-Fokus, während Jacob den Part des schlagkräftigen Raufboldes einnimmt. Erfahrungspunkte werden an beide Figuren gleichermaßen verteilt und die freigeschaltenen Ausrüstungsgegenstände sind von beiden gleichermaßen nutzbar – man möchte Ubisoft dafür fast ein kleines Dankeschön aussprechen.

Gangs of London

Weniger Dank werden die fleißigen Sammler unter den Videospielern für die Entwickler übrig haben, wenn das Ausmaß der Metropole und die dort auffindbaren Objekte bzw. Nebenmissionen erfasst wurde: Helix-Teile, Kisten, Briefe, spontane „Crowd-Events“ wie etwa Kriminelle zur Strecke bringen oder Taschendiebe stellen, seltene Bierflaschen und dergleichen werden so manchen Spieler viele schlaflose Nächte kosten.

Beim Schlendern durch die (teils) malerischen Straßen Londons trifft man natürlich auch auf allerlei Widersacher, die einem das Leben schwer machen. Hier kommt die neue Gang-Systematik und der Grund für den Spieletitel zu tragen: In Assassin’s Creed Syndicate muss in jedem der sechs Stadtteile die lokale Bande nieder gerungen werden. Dies erfolgt mittels Erfüllung von Nebenmissionen wie dem Kidnappen oder Meucheln einzelner Personen oder der Befreiung von Kinderarbeitern aus Fabriken. Mit jedem neuen Abschnitt wächst der Einfluss der von Jacob und Evie ins Leben gerufenen Gang – die „Rooks“, deren Mitglieder auch rekrutiert und befehligt werden können. Straßenschlachten der Marke Gangs of New York dienten hier als Vorlage, die Umsetzung macht aber ebenso wie der Film selbst auf dem Papier mehr Spaß als in der eher mangelhaften Umsetzung. So beschränkt sich etwa die Anzahl der Gangmitglieder auf fünf Personen und der Aktionsradius auf „angreifen“ und „warten“. Naja.

Die Präsentation von Assassin’s Creed Syndicate vermag zu begeistern: Von den Animationen der Protagonisten bis hin zu den unterschiedlichen Stadtteilen Londons lassen sich kaum Mängel feststellen, die üppige Soundkulisse trägt ebenso wie der passende Soundtrack zur perfekten Immersion bei. Besonders die Themse vereint alle genannten Elemente sowie intelligentes Leveldesign für ein anschauliches Beispiel: Als Trennstrich quer durch London stellt sie den Grundstein für Handel und Transport dar, was den regen Schiffsverkehr erklärt. Das Rauschen des Kielwassers und laute Schiffshörner dominieren die Tonebene, während der Spieler bei der geplanten Überquerung in einer modernen Version von Frogger allerlei Hindernisse überwinden muss (oder kann, dank Seilwerfer geht es auch schneller). Der Anblick jener Szenerie sollte vor allem bei Nacht erlebt werden, als raffinierter Baustein im weitläufigen Konstrukt Londons wird es sich auf jeden Fall im Gedächtnis jedes Assassin’s Creed-Spielers festsetzen.

Assassin’s Creed Syndicate ist vielleicht genau die richtige Mischung aus Alt und Neu: Das Gameplay hat zwar schon einige Jahre auf dem virtuellen Buckel, zeigt sich aber mit einigen Tweaks mehr als fähig, auch mit der neuen Umgebung fertig zu werden. Der neue Seilwerfer stellt dabei sowohl eine Notwendigkeit als auch sinnvolle Erweiterung für kommende Ableger dar. Eine Rückbesinnung auf die wirklich funktionierenden Werte der Serie – also Detailreichtum hinsichtlich der Spielewelt, Fokus auf funktionalen Singleplayer und variantenreiches Stealth-Gameplay – steht dem neuen Teil sehr gut. Wenn in den kommenden Ablegern schlussendlich auch noch eine mitreißende Story zum Einsatz kommen und das Kampf-Gameplay eine grundsätzliche Überarbeitung erhalten sollte, dann steht einer vollen Punkteanzahl wohl nichts mehr im Weg.

Plattform: PS4 (Version getestet), Xbox One, PC, Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 18, Release: 23.10.2015, 19.11. 2015 (PC), http://assassinscreed.ubi.com