Snowpiercer
Wir sitzen alle im selben Zug nach Nirgendwo. Nur die Reiseklassen sind unterschiedlich. Der Südkoreaner Joon-ho Bong, durch den Monsterfilm The Host zu internationaler Aufmerksamkeit gelangt, ist dafür bekannt, in seinen Filmen phantastische Elemente mit Sozial- und Gesellschaftskritik zu verbinden.
Sein neuestes Werk Snowpiercer, basierend auf einem französischen Comic, bildet dabei keine Ausnahme und bietet darüber hinaus starbesetzte Action vor postapokalyptischem Hintergrund. In naher Zukunft hat der Versuch, die Erderwärmung zu stoppen zu einer globalen Eiszeit geführt, die den gesamten Planeten unter dicken Eis- und Schneemassen begraben hat. Die letzte Zuflucht einiger weniger ist der Snowpiercer, ein von einem Perpetuum mobile angetriebener Zug, der alle Kontinente durchfährt. Er trotzt den extremen Außentemperaturen, indem er immer in Bewegung bleibt, im Inneren des Zuges herrschen hingegen starre hierarchische Strukturen. Während die privilegierten Passagiere im vorderen Zugteil im Luxus baden, leben die Menschen im hinteren Zugteil in Elend und Unterdrückung. Doch der Pöbel lehnt sich eines Tages auf und hat nur ein Ziel: bis an die Zugspitze zur Maschine kommen und die Kontrolle darüber erlangen.
Snowpiercer führt auf engem Raum vor Augen, was global gesehen allgemein gültig ist: ein kleiner Teil schöpft Kapital und Macht aus dem großen Rest der Menschheit, der ums nackte Überleben kämpft und mit seiner Armut und Ohnmacht für den Wohlstand der wenigen zahlt. Die Klimakatastrophe hat in diesem futuristischen Setting nicht dazu beigetragen, dass die Menschheit näher zusammengerückt ist, sondern hat die Klassengrenzen sogar noch verstärkt. Jeder hat seinen vorbestimmten Platz im Snowpiercer und wird immer wieder, wenn nötig auch gewaltsam, daran erinnert. Die Ohnmächtigen sind der Willkür der Mächtigen schutzlos ausgeliefert. Doch dann blüht doch noch Hoffnung auf für die Unterdrückten, denn die Mischung aus Mut und Verzweiflung gebiert einen Anführer, der genug verlieren kann und ausreichend zu gewinnen hat, um die Machtverhältnisse auszuhebeln. Curtis (überraschend eindringlich verkörpert von „Captain America“ Chris Evans) ist dieser Hoffnungsträger, der von einer bunt zusammengewürfelten Gruppe, unter anderem dem weisen alten Gilliam (John Hurt), dem Jungspund Edgar (Jamie Bell) und dem koreanischen Sicherheitstechniker Nam (Kang-ho Song), unterstützt wird. Der Kampf bis zur Zugspitze ist beschwerlich und von Gegenspielern gesäumt, darunter die strenge Ministerin Mason (herrlich schräg von einer wiederum bis zur Unkenntlichkeit maskierten Tilda Swinton dargestellt), und die einzelnen Waggons bieten viele Überraschungen.
Je weiter die Wiederständigen vordringen, desto bunter wird die Umgebung. Haben im hinteren Teil durch das Fehlen von Fenstern noch schmutziges, monochromes Schwarz und Grau dominiert, lichtet sich im vorderen Zugteil die Welt und erlaubt einen Blick auf die vorbeiziehenden Schneelandschaften. Mit zunehmendem Vordringen im Zug wendet sich auch die Handlung immer mehr vom Realismus hin zum Surrealismus und ist schließlich das Ziel, die Zugspitze mit der Maschine und deren Konstrukteur Wilford (Ed Harris) erreicht, erlebt man eine Wendung, die ein wenig zu sehr an Matrix erinnert, in der konsequenten Fortführung der filmischen Metaphorik aber durchaus Sinn macht.
Das Ende mit seiner abschließenden Botschaft ist dann fast etwas zu simpel: das Ziel soll nicht sein, die Macht innerhalb der bestehenden Ordnung zu erlangen, eine gänzlich neue Ordnung muss her. Chaos als entscheidender Faktor wird dabei allerdings ausgeblendet. Dabei hätte etwas mehr Chaos Snowpiercer durchaus gut getan, denn trotz alles Drecks, Elends und der abstoßenden Dekadenz wirkt der Film insgesamt zu sehr durchkomponiert und konstruiert, um die menschlichen Schicksale und Abgründe darin wirklich eindringlich nachvollziehbar zu machen. Hier spießt sich die symbolträchtige Metaebene des Films mit seinem Anspruch auf Authentizität und die Figuren erscheinen des Öfteren mehr als skurrile Vertreter einer bestimmten Idee, denn als Menschen aus Fleisch und Blut.
Andererseits schafft es Joon-ho Bong aus dem scheinbaren Kontrast von Skurrilität bzw. Surrealismus und beinhartem, actiongeladenem Realismus ein stimmiges Gesamtbild zu verweben, dessen Bildsprache und letztendlicher Determinismus zwar zeitweise ein wenig zu dick aufgetragen erscheinen, das aber in jedem Fall mitreißend und packend inszeniert ist. Das bedrohlich-dystopische und dennoch malerische Setting, die surrealen Bildwelten, die stellenweise an die Phantastik von Terry Gilliam erinnern, der gebrochene und dennoch integere Held und die spannende Inszenierung lassen die Schwächen des Films somit in den Hintergrund treten und machen Snowpiercer zu einem packenden Actiondrama, bei dem hinter den visuellen Schauwerten auch noch eine Botschaft mitfährt, die durchaus zum Nachdenken anregt.
Regie: Joon-ho Bong, Drehbuch: Joon-ho Bong, Kelly Masterson, Darsteller: Chris Evans, Tilda Swinton, John Hurt, Jamie Bell, Kang-ho Song, Ed Harris, Octavia Spencer, Filmlänge: 126 Minuten, Kinostart: 25.04.2014, www.snowpiercer.de