Oliver-Assayas-©-2004-Robert-Newald

Olivier Assayas

Das Filmmuseum würdigt im Mai einen der bemerkenswertesten französischen Gegenwartsregisseure, Olivier Assayas, mit einer Gesamtschau und zwei Publikationen in Form einer Monografie und eines autobiografischen Berichts in der FilmmuseumSynema-Edition…

Olivier Assayas wurde 1955 als Sohn des Regisseurs und Drehbuchautors Jacques Rémis geboren. Nach seinem Studium an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris und seinen Anfängen als Maler, widmete er sich dem Film. Zwischen 1980 und 1985 war er Kritiker der ehrwürdigen Cahiers du cinéma. Und bereits mit seinem Langfilmdebüt „Désordre“ (Lebenswut, 1986) reihte sich Assayas in die preisgekrönte Künstler-Riege des europäischen Kinos ein.

Désordre

Olivier Assayas war beim Eröffnungswochenende im Filmmuseum anwesend und bot drei Tage lang die Gelegenheit in Publikumsgesprächen und einer Masterclass seinen Zugang zum Film kennen zu lernen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass (sein) Film Kunst ist. Schon das Filmset betrachtet er als eine Installation, der er aber nicht statisch, sondern als lebendigem Organismus begegnet. Filmemachen ist ein Prozess, bei dem es nicht um die Kontrolle des Geschehens und der Akteure geht, sondern um das Erzeugen, Bündeln und Lenken von Energien, die aus dem Zusammenspiel der einzelnen Akteure erwachsen. „Control is death, surrender is life“, heißt das in der Sprache Assayas.

Deutlich und doppeldeutig wird diese Intention in „Irma Vep“ (1996), ein Film-im-Film, der nicht nur eine Auseinandersetzung mit Filmgeschichte eröffnet, sondern auch mit der Entstehung eines Films. Ein Regisseur wird beauftragt ein Remake des französischen Stummfilm-Klassikers „Les Vamipres“ zu machen – und scheitert. Eine Actrice aus Hongkong, Maggie Cheung, soll die Hauptfigur Irma Vep spielen und setzt in der Filmcrew ein ganzes Geflecht an Vorstellungen, Sehnsüchten und Leidenschaften frei. Kino als Illusion, die auch wunderbar vergnüglich sein kann.

Demonlover

Die andere Schlüsselrolle im Werk von Olivier Assayas kommt „L‘Eau froide“ (Cold Water, 1994) zu. Wie schon in „Désordres“, seinem dritten Film „Paris s‘éveille“ (Paris erwacht, 1991) oder später in „Clean“ (2004) widmet sich der Regisseur dem Chaos, das der Vorgang des Erwachsenwerdens produziert. Erwachsen zu werden ist hier jedoch nicht als Übergang von der Adoleszenz zur Volljährigkeit oder als Anpassung an die Gesellschaft zu verstehen, sondern entspricht dem Motto „Nothing can bring you peace but yourself“ (Emerson), das Kent Jones, der Herausgeber der Assayas-Monografie, seinem Text zu „L‘Eau froide“ voranstellt. Kino als Weg zu sich selbst und als Weg zur Welt.

Jugend und Freiheit haben immer auch etwas mit Musik zu tun, so wie generell gesagt werden kann, dass in Assayas Verständnis Musik mit Leben gleichgesetzt ist. Immer nehmen Songs eine entscheidende Funktion als Botschafter nicht nur der Erzählung, sondern auch des Zeitgeists ein. Die Liste ist lang: Sonic Youth, Janis Joplin, Bob Dylan, Tricky, New Order, Brian Eno, Karlheinz Stockhausen – und damit noch lange nicht vollständig. Eine besondere Art des Dokumentarfilms bildet in diesem Zusammenhang „Noise“ (2006). Er entstand, als das Festival Art Rock von Saint-Brieuc Assayas die Möglichkeit gab, sich ein Konzert mit ausgewählten Musikern und eigenem Programm zusammenzustellen.

Carlos

Begriffe wie Abstimmung, Zusammenspiel, Komposition drängen sich auf, betrachtet man Assayas Schaffen, auf der einen Seite. Auf der anderen stehen Chaos, Zufall, Experiment. Möglicherweise ist es gerade die Bewältigung des vermeintlich Unvereinbaren oder Gegensätzlichen, aus der Assayas seine Syntax des Kinos entwickelt. Er strebe nicht nach Präzision, sondern nach Klarheit, betont er. Das gilt ebenso für das Handwerk, wie auch für das Erzählte. Wie bei einer Kunstinstallation geht es auch im Film um die Neuanordnung der Welt, einen Akt der Erfassung und Aneignung, der immer wieder neu geleistet werden muss. Das Leben mit jedem Film neu zu schreiben, es aus unterschiedlichen Perspektiven zu erfassen, könnte leitmotivisch für alle Arbeiten Assayas gelten. Ob aus dem Jenseits der Liebe („Les Destinées sentimentales“, 2000), dem Abseits der Perversion („demonlover“, 2002) oder der Radikalität eines Terroristen („Carlos“, 2010).

Das Jahr 1968, seine Ideale, Folgen und das Scheitern einer Generation, bilden ein wiederkehrendes Thema in Assayas Werk. Auch sein nächster Film, „Après-Mai“, der 2013 in die Kinos kommt, steht in diesem Zeichen. Mehr zu dem Thema und einen tieferen Einblick in Genealogie und Kunstverständnis bietet „A Post-May Adolescence“, die autobiografische Publikation von Olivier Assayas.

Die Gesamtschau von Olivier Assayas Schaffen läuft noch bis 17.6.2012 im Filmmuseum

Olivier Assayas, Hg. Kent Jones (Hg.). FilmmuseumSynemaPublikationen 16. Wien 2012

Olivier Assayas: A Post-May Adolescence. Letter to Alice Debord. And two essays on Guy Debord.
Mit einer Einführung von Adrian Martin. FilmmuseumSynemaPublikationen 17. Wien 2012