Martin Eden
Selbst ohne das Retro-Poster proklamiert Pietro Marcello ausschweifende Adaption Jack Londons autobiografischen Romans Martin Eden überdeutlich seine stilistische Affinität zu Visconti, Pasolini, Fellini und De Sica, deren patriarchalischer Revisionismus ohne ironischen oder kritischen Bruch transzendiert.
Die postulierte Systemkritik verkümmert zu epischem männlichen Selbstmitleid, dessen visueller Reiz sich in Wiederholungen und Manierismen erschöpft. Schließlich versiegt der oberflächliche Charme italienischer Schlager, historischer Filmschnipsel und Passantenporträts, die auf Marcellos dokumentarische Regieanfänge verweisen. Nicht nur atmen allzu pittoreskes Lokalkolorit und anachronistische Einsprengsel künstlerische Prätention, ihre touristische Nostalgie unterminiert den neorealistischen Impetus der Inszenierung. Wie der Titelheld wirkt die zähe Handlung getrieben von Selbstdarstellungsdrang statt von kreativer Ambition.
Gleiches gilt für politische Ideologien, mit denen Protagonist und Plot kokettieren. Statt um Inhalte geht es dem aspirierenden Schriftsteller Martin (Luca Marinelli) und Co-Drehbuchautor Marcello um provokante Phrasen. Bildungsfeindlichkeit und Borniertheit des vorgeblich authentischen Hauptcharakters wird dabei genauso übergangen wie die aufgeworfene Klassenkampf-Problematik.
Vor lauter Proletarier-Pathos ignoriert Martin seine eigenen Privilegien als weißer christlicher Italiener in einem Land, geprägt von Klerikalismus, Nationalismus, Faschismus und Chauvinismus. Die ätherische Elena (Jessica Cressy), Verführerin Margherite (Denise Sardisco) und (Ersatz)Mama Maria (Carmen Pommella) sind reduktive Verkörperungen männlicher Projektion in einem Macho-Melodram, das ästhetische Anbiederungen als Atmosphäre ausgibt und Arroganz als Genialität.
Regie: Pietro Marcello, Drehbuch: Maurizio Braucci, Pietro Marcello, basierend auf dem Roman von Jack London, Darsteller: Rinat Khismatouline, Luca Marinelli, Jessica Cressy, Rinat Khismatouline, Vincenzo Nemolato, Marco Leonardi, Filmlänge: 129 Minuten, Kinostart: 20.08.2021