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Borderlands 3

6
Shooter

Der neueste Teil der Borderlands-Reihe präsentiert sich als zynisch-sentimentaler Griff in die Trickkiste – eine Orgie aus Pixeln, Frames und einer Menge gutem Willen. Borderlands 3 bleibt dennoch ein Höhepunkt, wenn auch mit galligem Beigeschmack.

Borderlands, das war einmal ein Name, der etwas galt. Die Spielreihe stand für irren Witz, für kruden Endzeit-Charme, mit Protagonisten und Nebenfiguren beinahe so psychotisch wie ihre Gegner. Ein Franchise, dessen Handlung im weiten Feld der Ego-Shooter herausstach, belebt durch eigenwillige Charaktere und Missionen, die zwischen anarchischem Nonsens und Planspiel mäanderten. Als hätten sich ein Partyplaner der Red Wedding, Game of Thrones-Veteranen werden sich erinnern, und die Stylistin der Powerpuffgirls zu einer Allianz größtmöglicher Eskalation zusammengeschlossen – es war wundervoll.

Bisher hatte die Videospielschmiede Gearbox Software einen untrüglichen Riecher für die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe. Die Spieler wünschten sich eine Fusion aus Kampfgetümmel und mitreißender Handlung, Gearbox gab ihnen einen wüsten Planeten auf dem sich Gesetzlose, Milizen und hochgerüstete Konzerne um Alienartefakte stritten. Die Spieler verlangten nach Belohnungen für ihre Zeit vor dem Bildschirm, Gearbox gab ihnen einen unerschöpflichen Vorrat an Beute, versteckt in virtuos komponierten Leveln. Die Spieler gierten nach Erweiterungen zur Hauptgeschichte, Gearbox gab ihnen zusätzliche Inhalte, die das Spektrum der eigentlichen Handlung um hunderte Stunden anreicherte. Kurzum, die Borderlands-Reihe versprach ein furioses Abenteuer in Wild-West-Manier mit vergnüglicher Zerstreuung, besonders der Gegner.

Wie in den vergangenen Spielen schickt auch Borderlands 3 den Protagonisten auf die Suche nach einer so mächtigen wie wertvollen Alientechnologie, um zu verhindern, dass sie in falsche Hände gerät. Unterstützung erfährt er dabei durch eine Reihe mehr oder minder treuer Kumpanen. Viele davon hatten bereits in früheren Spielen einen Auftritt. Ihnen gegenüber steht ein Heer aus Söldnern, Berserkern und indoktrinierten Konzernsoldaten. Angeführt wird diese Schar aus Halsabschneidern von einem postapokalyptisch verdrehten It-Girl und ihrem parasitären Zwillingsbruder, die sich dank einiger übernatürlicher Fähigkeiten zu Göttern haben ausrufen lassen und nun mit ihren Anhängern die Spielwelt tyrannisieren. Sie gilt es aufzuhalten.

Diese Hybride aus Bösewichten und Youtube-Sternchen sind beeindruckend nervtötend, was sie umso authentischer erscheinen lässt. Es wird gedabbt, geliked, gefollowed und die Shaka-Faust geschwungen. Dennoch reicht ihr Habitus nicht an die manischen Selbstgespräche ihres Vorgängers im Geiste, dem Erzgegner aus dem zweiten Teil, Handsome Jack heran. Wo Spieler früher noch andächtig an den Seitenstreifen der Level fuhren, um Jacks eruptiven Gedankenergüssen zu lauschen, ist in Borderlands 3 der Wunsch nach einem Dislike-Button für die beiden Antagonisten allgegenwärtig.

Vielleicht lebt Gearbox gerade deshalb seinen Schusswaffen-Fetisch noch ungezügelter aus als je zuvor. Bereits seit der ersten Veröffentlichung protzt das Franchise mit einem Generator, der den Spielern Tötungsgeräte in abermillionenfacher Form verspricht. Waren es im ersten Teil rund 18 Millionen, sollen in Borderlands 3 über eine Milliarde verschiedener Waffen zu finden sein. Tatsächlich waren es stets nur Varianten eines kreativen aber überschaubaren Sets, die Vielfalt machte stets die Kombination der unterschiedlichen Statuswerte aus. Daran ändert sich nur wenig. Vielmehr kann der geneigte Waffenfreund nun die Objekte seiner Begierde mit eigenen Farbschemata versehen oder ihnen kleine Verzierungen anhängen. Der Handyschmuck erlebt so an den Holstern des Ego-Shooters eine virtuelle Renaissance.

Das zweite Pfund der Reihe, die Nebencharaktere und ihre schräge Genese, waren für Gearbox stets ein Garant, mit dem sich die Fangemeinde bei Laune halten ließ. Dem Rechnung tragend sperrten die Entwickler ihre Schöpfungen in einen goldenen Käfig, den sie auch im aktuellen Teil der Reihe nur höchst zögerlich öffnen.

Vorgeblich wird in Borderlands Brutalität und vermeintliche Schonungslosigkeit zelebriert. Da platzt schon einmal ein Gegner in einer Wolke aus Blut, wird zu Tode gegrillt, in Säure aufgelöst, radioaktiv verstrahlt oder mit Starkstrom zu einem so unrühmlichen wie zittrigen Ende gebracht. Freund wie Feind wird nicht müde, vom Verzehr der gegnerischen Gliedmaßen zu schwadronieren, und sei das noch nicht genug schalten sich in regelmäßigen Abständen die Bösewichte per Liveübertragung ins Spielgeschehen, um stolz von ihren Gräueltaten zu berichten. Dabei rotiert die Spannbreite zwischen der Entvölkerung ganzer Landstriche bis zur Sprengung der gegnerischen Lieblingsbäckerei.

Und doch ist es ein Spiel um Lug und Trug, denn man wartet sehnlichst, endlich etwas in die Luft jagen zu können, das wirklich Auswirkungen hat. Dabei bleibt jede Tat so folgenlos, wie der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Aus Sentimentalität, Furcht vor wütenden Fans oder schlichter Ignoranz: Die Entwickler trauen sich nicht, ihre Charaktere aus der Erzählung zu lassen, sich für eine unerwartete Wendung und gegen die Konvention zu entscheiden, der Handlung einen deftigen Tritt in das bequeme aber öde Narrativ zu verpassen – bis auf zwei Ausnahmen.

Beinahe als Paraphrase zu der recht drögen Handlung begeht Borderlands 3 visuell seinen fruchtschwangeren Hochsommer. Alles ist praller, satter in Farbe, Form und Gestalt. Und doch täuscht diese grelle Opulenz nicht darüber hinweg, dass der Cel-Shading-Stil, der für Borderlands stilprägend war, in die Jahre gekommen wirkt. Gerade der Versuch von Gearbox, mit kosmetischen Behandlungen Naturelemente wie Wasser oder Flammen aufzupolieren, muss eingedenk der überzeichneten Darstellung scheitern. Das Leveldesign wirkt aus der Zeit gefallen, die Physik der Architektur trutzig. Bis auf wenige Gegenstände bleibt die Welt um den Spieler herum stur und unbeweglich. Da hilft auch keine bis an die Reizschwelle eines epileptischen Anfalls hochgeschraubte Sättigung.

Nur mehr ist mehr, könnte man meinen, sei das Leitmotiv für diesen Titel gewesen. Borderlands 3 legt bei vielen Aspekten des Spiels noch eine übervolle Schippe zu, ungeachtet der Konsequenzen. Der Charakter kann bis zur Unkenntlichkeit ausgerüstet werden, die Waffen lassen sich bewaffnen, selbst die Munition noch aufmunitionieren. Die Handlung irrlichtert auf allerlei unterschiedlichen Planeten in grellbunten Leveln umher, die das darstellbare Farbspektrum nahezu ausreizen. Charaktere agieren wie im Rausch, getrieben von einem unbotmäßigen Aktionismus – man könnte meinen, Donald Trump hätte einen Kurs in angewandtem Populismus gegeben. Wohl nicht ohne Selbstironie lautete der Arbeitstitel „The Big One“.

Und dennoch ist es eine bittersüße Freude, diesen Höhepunkt der Reihe zu spielen. Denn Borderlands 3 schmeckt bei all dem doch wie eine Portion Pommes mit zu viel Ketchup und Mayonnaise. Man bereut schon während man daran herumzuzelt, sich das Ganze angetan zu haben. Und würde es doch jederzeit wieder tun.

Plattform: PS4 (Version getestet), Xbox One, PC, Stadia, Spieler: 1-4 (Koop), Altersfreigabe (PEGI): 18, Release: 13.09.2019, borderlands.com




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