Ferdinand
Als Munro Leaf vor etwas mehr als 80 Jahren Die Geschichte von Ferdinand schrieb, war die Parallele zu ideologisch verbrämtem Massenschlachten und eines gesellschaftlich internalisierten Überlegenheitsdogmas klar. Heute ist sie es nicht mehr.
Carlos Saldanahs 3D-Adaption hat leider nicht die Ambition, daran etwas zu ändern. Der oberflächliche Animationsfilm erzählt eine komplexere Story als die Vorlage und verfehlt dennoch deren pazifistisches Leitmotiv in allen entscheidenden Momenten. Letzte sind jene Szenen, in denen das industrielle Konzept hinter Ausbeutung und Abschlachtung von Tieren zu Unterhaltungszwecken oder als Konsumgut durchscheint. Der bunte Familienfilm verschenkt die Chance auf eine emotional berührende Parabel über Sanftmut und Gleichwertigkeit zugunsten bedenkenloser Konsolidierung.
Die Schönfärberei dominiert schon die Anfangsminuten, die den Helden (Stimme: John Cena) als Kälbchen in einem Zuchtbetrieb für Kampfstiere zeigen. Statt die dort gängigen Grausamkeiten wenigstens anzudeuten, zeigt die zwischen Sentimentalität und Slapstick schwankende Handlung die Jungstiere und ihre Väter beim Training und Schaukampf. Wo sind eigentlich die Muttertiere? Solche unangenehmen Fragen übergeht der Plot systematisch. Ferdinands Altersgenossen Valiente (Bobby Cannavale), Bones (Anthony Anderson) und Guapo (Peyton Manning) wetteifern ständig fröhlich, was suggeriert, zur Publikumsbelustigung ausgenutzte Tiere wären von sich aus aggressiv und hätten Spaß am Kampf. Außer Ferdinand, der nach geglückter Flucht ein paar Jahre auf einem idyllischen Bauernhof an Blumen schnuppern darf.
Als ausgewachsener Stier verschlägt es ihn in den Zuchtbetrieb, der unqualifizierte Stiere ins Schlachthaus schickt. Statt das Grauen solcher Orte zu vermitteln, erscheint die Fleischfabrik als Abenteuerspielplatzes, genauso wie später die Arena. Saldanha will die Dissoziation von Tierleid und fragwürdigen Konzepten von „Unterhaltung“ und „Genuss“ unbedingt bewahren. Wenn Tierfiguren von Hackfleisch und Sahne schwärmen, wirkt das ähnlich geschmacklos wie eine chaotische Flucht durch Madrid, die eine lustige Version des traditionellen Stiertreibens darstellt. Die mechanisch wiederholte Botschaft von Friedfertigkeit maskiert eine unreflektierte Affirmation eben jener Verrohung, die Leaf kritisierte. Das Nachsehen haben neben den Zuschauern letztendlich deren „Nutz“-Tiere. Wie Ferdinand einmal sagt: „Der Stier verliert immer.“
Regie: Carlos Saldanha, Drehbuch: Robert L. Baird, Tim Federle, Brad Copeland, basierend auf dem Roman von Munro Leaf und Robert Lawson, Sprecher (Originalversion): John Cena, Kate McKinnon, Bobby Cannavale, Peyton Manning, Filmlänge: 106 Minuten, Kinostart: 15.12.2017