The Last Guardian
Als The Last Guardian vor vielen hundert Jahren in Form eines Trailers auftauchte entstand hysterischer Hype. Immerhin handelte es sich bei den Entwicklern rund um Fumito Ueda um die Erschaffer von Shadow of the Colossus und Ico, zwei Spielen, die die Industrie geprägt haben.
Doch dann herrschte jahrelange Funkstille. Kaum noch jemand glaubte an einen Release und schlimmer noch: Es trat eine eher stille Hoffnung auf das frühzeitige Ableben des Projekts ein, denn nach so langer Zeit erwarten Spieler selten positive Überraschungen. Der Grad an Skepsis war demnach groß, als die Nachricht eintraf, das der Release sei nun auf die PS4 gerutscht. Was erwartet den Spieler also nun, da der Titel tatsächlich in den Läden steht?
Gleich vorweg sei allen Zynikern versichert, dass sie diesmal leer ausgehen. The Last Guardian ist genau das, was man sich aufgrund der Vorschusslorbeeren erwarten darf: Ein Meisterwerk, das den üblichen Output der Industrie in den Schatten stellt. Ein Ausnahmeprojekt, das in dieser Form nur alle zehn Jahre einmal auf den Markt kommt und dessen Einfluss für viele Jahre zu spüren sein wird.
Die emotionalen Themen des Titels und seine künstlerische Inszenierung wirken erstaunlich kohärent zu den beiden Vorgängern und das, obwohl beide Spiele kaum unterschiedlicher sein könnten. Während der Spieler in Ico seine hilflose Begleitung behüten muss, übernimmt er in The Last Guardian die Rolle des Hilflosen selbst. Während man in Shadow of the Colossus auf dem Rücken von gigantischen Kreaturen herumklettert, um diese niederzustrecken, ist die gigantische Kreatur in The Last Guardian ein lieb gewonnener Wegbegleiter. Ein Greifen-artiger Koloss namens Trico ist der Mittelpunkt des Geschehens, der eigentliche Protagonist, den man als Spieler allerdings nie steuert. Als kümmerliches Menschlein versucht man stattdessen eine Beziehung zu dieser gigantischen Vogelkatzenratte aufzubauen – und dieser Vorgang bildet den zentralen Kern des Spiels.
Mit beispiellosem Feingefühl schaffen es die Entwickler das Wachsen dieser intimen Erfahrung interaktiv zu vermitteln. Am Anfang bringt man Trico noch Kunststücke bei, um ihn dem reinen Selbstzweck dienlich zu manipulieren. Doch Stück für Stück wächst dieses Verhältnis zu einer einheitlichen Symbiose, von der man irgendwann gar nicht mehr weiß, wann sie begonnen hat. Man pflegt und hätschelt Trico, dessen täuschend authentisches Verhalten eine nie enden wollende Faszination auf den Spieler ausübt. Trico beschützt im Gegenzug den Spieler, verfolgt fasziniert jeden Handgriff seines Menschen, um sich nach persönlicher Willkür nützlich zu machen.
Natürlich behält das Wesen dabei immer einen eigenen Kopf, doch als vergleichsweise winzige Figur bleibt dem Spieler keine andere Option als Geduld zu üben – für den modernen Menschen eine frustrierende, aber wertvolle Lektion. Wer Trico nicht füttert oder vorsorglich verarztet um so stückchenweise sein Vertrauen zu gewinnen, der wird mit blankem Ungehorsam bestraft. Das kann beim Lösen der unzähligen Puzzles nervig sein, denn primär ist The Last Guardian ähnlich wie Ico ein Puzzle-Plattformer. Es geht darum die Umgebung zu erkunden, Zusammenhänge zu begreifen und zumeist unter Einbindung Tricos neue Wege zu beschreiten. Die Aufgaben sind dabei clever, vielseitig und bilden einen nie langweilig werdenden erzählerischen Strang, der den Spieler weitaus länger bei Laune hält als es bei Genrevertretern sonst üblich ist.
Technologisch merkt man der Engine zwar hier und da an, dass der Titel irgendwann eine PS3-Entwicklung war, doch setzen die völlig authentischen Animationen, mit denen sich Trico wuchtig durch die Welt bewegt, neue Maßstäbe, sodass auch auf dieser Ebene der Status „Meisterwerk“ gesichert bleibt. Emotionale Hoch- und Tiefpunkte werden zudem von einem famosen Soundtrack begleitet. Könnte man angesichts all dieser Aspekte mit Leichtigkeit über die Probleme des Spiels hinwegsehen, stellen diese aber leider einen bedauerlichen Stolperstein für das extrem breite Publikum dar, für den ein Titel dieser Machart zugänglich wäre. So ist die Steuerung sehr hakelig und die Kamera ein wahrer Albtraum. Wer nicht viel Erfahrung mit Joystick-Akrobatik vorweisen kann, lässt leider lieber die Finger vom Gamepad. Eine verpasste Gelegenheit.
Trotzdem darf The Last Guardian als Ausnahmespiel gelten. Die emotionale Bindung, die mit dem digitalen Riesenhaustier entsteht, spricht eine urtümliche menschliche Phantasievorstellung an. Wenn man einen wohl trainierten Trico über die gigantischen Türme der surrealen Tempellandschaft von The Last Guardian reitet, entsteht ein Gefühl der Erhabenheit, das kaum mit einem anderen Medium erreichbar wäre und somit als Höhepunkt der angesichts einer immer eintöniger werdenden Releaselandschaft wie ein Leuchtturm hervorsticht.
Plattform: PS4 (Version getestet), Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 16, Release: 07.12.2016, Link zur Homepage