Viennale 2012
Wieder einmal fiebert Wien in diesen Tagen der Viennale entgegen, die im Jahr 2012 mit ihrer 50. Ausgabe ein besonderes Jubiläum zu feiern hat. Schon während der letzten Monate stand die ganze Stadt im Zeichen des beliebten Filmfestivals, viele unserer schönsten Kinos – wie etwa das Gartenbau oder Filmcasino – widmeten der Viennale spezielle Filmschauen, es gab Ausstellungen, Konzerte sowie eine eigens kreierte Eissorte und natürlich die fulminante Geburtstagsparty im Volksgarten, die erst in den frühen Morgenstunden (und beinahe inklusive wilder Tortenschlacht) zu Ende ging…
Nach all den Feierlichkeiten geht es nun aber erst so richtig los, denn schon am 25. Oktober startet das reguläre Festivalprogramm. Und während wie jedes Jahr hunderte Pocketguide-Heftchen im Zuge der Qual der Filmwahl beim Durchblättern und Vollkritzeln auf härteste Bestandsproben gestellt werden und sich die eingefleischten Viennale-Stammbesucher seelisch als auch körperlich auf den nervenaufreibenden Ticketverkaufsstart-Wahnsinn am morgigen Samstag vorbereiten, wollen auch wir hier in die Euphorie mit einsteigen und einen Blick in das reichhaltige Programm werfen.
Die Viennale hat sich in den letzten Jahren stets bemüht, mit den mittlerweile über 140 gezeigten Langfilmen – gut die Hälfte davon sind Dokumentationen – einen außerordentlich breiten Bogen zu spannen von großen Namen bis hin zu kleinen, unbekannten Kostbarkeiten aus aller Welt. Dabei ist stets für jeden Geschmack etwas enthalten, von Ben Afflecks verheißungsvoll satirischem Polit-Thriller aus dem Hause Hollywood (Argo), über neue Werke von Takashi Miike, Olivier Assayas, Apichatpong Weerasethakul, Werner Herzog und Thomas Vinterberg, bis hin zu experimentellen Arbeiten von James Benning oder Jem Cohens doku-fiktionalem Wien-Film (Museum Hours).
Gespannt sein darf man unter anderem auf Benh Zeitlins außergewöhnliches Film-Märchen Beasts of the Southern Wild, das am heurigen Sundance Festival hochgefeiert wurde. Ebenso auf Dupǎ Dealuri (Beyond the Hills), das in Cannes mit Preisen ausgezeichnete neue Werk des rumänischen Filmemachers Christian Mungiu, der bereits vor einigen Jahren mit seinem Drama 4 Months, 3 Weeks and 2 Days auf sich aufmerksam machte. Auch William Friedkin, Altmeister des amerikanischen Horror- und Actionkinos sowie Regisseur von French Connection und The Exorcist, lässt mit seinem neuen Gangster-Streifen Killer Joe cineastische Vorfreude aufkeimen.
Mitten ins Programm gestreut finden sich einige nicht mehr ganz so neue Kostbarkeiten wie Kubricks The Shining, der gemeinsam mit der Dokumentation Room 237 gezeigt wird, in der seriöse Kritiker und durchgeknallte Nerds über Subtexte und geheime Botschaften in Kubricks Kultfilm plaudern. Auch Andrew Jareckis grandios unlösbares Dokumentations-Puzzle Capturing the Friedmans aus dem Jahr 2003 ist ein absoluter Geheimtipp.
Und obwohl die Viennale aufgrund einer wirklich vollkommen unnötigen Kontroverse dieses Jahr leider auf Sozialpornograph Ulrich Seidl verzichten muss, ist der österreichische Film, so betont Festivalkurator Hans Hurch, mit über 20 Produktionen durchaus stark im Programm vertreten, darunter zum Beispiel neue Werke von Antonin Svoboda und Florian Flicker, Mirjam Ungers Dokumentation über Frauenpower in der heimischen Musikszene (Oh Yeah, She Performs!), Paul-Julien Roberts Film über die legendäre Otto Mühl – Kommune im Burgenland (Meine Keine Familie) sowie die verstörend komischen Videominiaturen der jungen Künstlerin Kurdwin Ayub.
„They wanted to see something different, but something different saw them first!“ Diese Worte, gesprochen am Beginn des Trailers zu Wes Cravens im Jahr 1977 unabhängig produzierten Kultschocker „The Hills have Eyes“, bilden den Titel eines heurigen Spezialprogramms, das wohl die Herzen aller Freunde des fantastischen Films in ungeahnte Höhen schnellen lässt.
In seiner kleinen Geschichte des Unheimlichen holt Gast-Kurator Jörg Buttgereit eine feine Auswahl der irrsten Science Fiction- und Horrorwerke der letzten 60 Jahre aus dem Schlund der Filmgeschichte auf die Kinoleinwand zurück. Weder die japanischen Kuriositäten wie Pilzmenschen und bizarre Weltraum-Teufelseier sollte man hier verpassen, noch den farbenprächtigen Tripp durch den menschlichen Körper (Fantastic Voyage) oder John Carpenters Meisterwerk des analogen Spezialeffekt-Kinos (The Thing). Am meisten ans Herz gelegt sei Einem, neben Ridley Scotts Alien, vor allem auch dessen heimliche Vorlage Terrore Nello Spazio (Planet of the Vampires), ein italienischer Low-Budget-Geniestreich von Mario Bava aus dem Jahr 1965, der nicht nur aufgrund seiner grandiosen Pappmaché-Dekors, seinem maßlosen Einsatz der Nebelmaschine sowie seiner fantastischen Farbregie einfach gesehen werden muss!
Ganz besonders freuen darf sich Wien dieses Mal auch auf den Besuch von Sir Michael Caine, dem die Viennale ein absolut notwendiges Tribute gewidmet hat. Der aus dem englischen Arbeitermilieu stammende Caine, den die jüngere Generation heute wohl eher nur als Butler Alfred in Christopher Nolans Batman Trilogie zu identifizieren vermag, ist über die letzten Jahrzehnte hinweg zu einem der ganz großen Charakterdarsteller Hollywoods sowie des internationalen Kinos aufgestiegen und hat in rund 80 Filmen die unterschiedlichsten Rollen gemeistert – vom britisch coolen Cockney-Rebellen über den transsexuellen Psychokiller bis hin zum resignierten Ehemann im Woody Allen-Streifen. Die Viennale präsentiert nun 10 seiner schönsten und zum Teil frühesten Schauspiel-Arbeiten, darunter Mike Hodges Get Carter (1971) oder Brian De Palmas Dressed to Kill (1980).
Und was wäre die Viennale ohne die alljährliche Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum, das im Oktober/November einem nicht wegzudenkenden Urgestein der Filmgeschichte alle Ehre erweist. Der in Österreich geborene Fritz Lang – Regisseur von filmischen Meilensteinen wie Metropolis, M und Dr. Mabuse – floh, nachdem ihm Goebbels 1933 die Leitung der deutschen Filmproduktion angeboten hatte, über Frankreich in die USA, wo er die nächsten 40 Jahre als Filmemacher weiterarbeitete. Das Filmmuseum präsentiert Langs amerikanische Produktionen sowie seine Werke vor der Emigration. Übrigens ist das Design der diesjährigen Viennale-Tasche dem Nadelstreifen-Anzug nachempfunden, den Fritz Lang auf dem Retrospektive-Plakat trägt.
Zu guter Letzt soll hingewiesen werden auf Spezialprogramme über zwei bedeutende Filmemacher des portugiesischen und italienischen Kinos, nämlich Manuel Mozos und Alberto Grifi, sowie auf ein gratis Live-Konzert von Patti Smith im Metro Kino und ein garantiert einzigartiges Experimentalfilmerlebnis mit Peter Kubelka im Gartenbaukino (Monument Film).
Noch zwei Infos am Rande: Auf Diskussionen, Lesungen, Konzerte und hoffentlich wilde Partynächte lädt auch dieses Jahr wieder die Festivalzentrale ein, die sich – nach Urania und Badeschiff – nun im alten Postgebäude in der Dominikanerbastei (1. Bezirk) einquartiert hat. Und das Viennale-Sujet ist die Bearbeitung eines der frühesten fotografischen Versuche des englischen Forschers William Henry Fox Talbot aus dem Jahr 1841 – „die leidenschaftliche Beschwörung des Kinematographischen im Zeitalter der allumfassenden Digitalisierung“.
Zum Abschluss gibt es den großartigen Viennale Jubiläums-Trailer von Chris Marker zu sehen, der auf seiner Suche nach dem perfekten Zuschauer in der Länge von nur einer Minute die Magie des Kinos auf den Punkt bringt – inklusive wunderbarer Pointe. Der französische Filmessayist Chris Marker verstarb im Juli 2012 in Paris.
Viennale 2012
25. Oktober – 7. November, Kartenverkauf ab 20. Oktober, 10 Uhr
Einzelticket € 9,-, ab 10 Tickets € 8,30, ab 20 Tickets 7,30 €
Zusätzliche Infos und viele weitere Programmpunkte auf der Viennale Homepage