Martha
Noch im selben Jahr wie Angst essen Seele auf hat der fleißige Rainer Werner Fassbinder sein Drama Martha gemacht, über eine Frau, die in einer despotischen Ehe gefangen ist und ihren Mann verdächtigt, es auf ihr Leben abgesehen zu haben.
Nachdem ihr tyrannischer und herrschsüchtiger Vater stirbt, kommt sich die junge Bibliothekarin Martha (Margit Carstensen) einsam und alleine vor. Sie lernt den zunächst charmanten, aber ebenso dominanten Helmut Salomon (Karlheinz Böhm) kennen. Seine brutale Art schreckt sie einerseits ab, zieht sie aber auch in ihren Bann und die beiden heiraten schließlich. Die Ehe entwickelt sich für Martha zum Alptraum, denn Helmut sieht sie nicht nur als ihren Besitz an, ist notorisch eifersüchtig und misstrauisch, sondern auch physisch und psychisch gewalttätig, verbietet ihr zu arbeiten, den Umgang mit Freunden und Freundinnen und will sie rund um die Uhr im Haus einsperren. Es geht so weit, dass Martha den Verdacht hegt, ihr Ehemann will sie ermorden.
Martha basiert auf der Kurzgeschichte Für den Rest ihres Lebens des amerikanischen Krimi- und Mystery-Autors Cornell Woolrich, die Fassbinder sehr frei für seine Zwecke adaptiert hat. Dem deutschen Filmemacher geht es weniger um den Aspekt eines möglichen Verbrechens, als vielmehr um körperliches und vor allem seelisches Leid seiner Protagonistin und wie sie damit umgeht. Dabei lebt das Drama ganz besonders von den beeindruckenden Leistungen von Margit Carstensen und Karlheinz Böhm, der hier, genau wie in Peeping Tom zeigt, dass er mehr war als der Kaiser Franz aus den Sissi-Filmen. Aber auch Fassbinder zeigt einmal mehr sein Einfühlungsvermögen in komplexe Figuren und deren tragische Konstellationen. Seine Regie verfrachtet das Drama dieser zerstörerischen Ehe in eine verschnörkelte, überdrehte Inszenierung, die den Stil und die Atmosphäre des Films eher an die Zeit der 1940er-Jahre erinnern lässt.
Es ist ein Film über das Sinnbild des Masochismus und einer wahnhaften Selbsttäuschung. Martha ist ein tragischer Stoff, der ein breites Spektrum an Emotionen abdeckt und im Zuschauer hervorruft. Die Protagonistin ist eine vielschichtige, überaus komplexe Figur, die in ihrem Dasein bereit ist alles zu ertragen, aber gleichzeitig wütend und aggressiv wird, wenn ihre Welt von außen angegriffen und in Frage gestellt wird. Martha ist zwar ein feinfühliger Film, aber weitaus weniger subtil, wie manch andere von Fassbinders Werken. Die Thematik hämmert er dem Zuschauer wirklich ins Gedächtnis und das kann im Verlauf auch etwas ermüden. Abgesehen davon hat Rainer Werner Fassbinder hier einmal mehr ein komplexes Figurenporträt und Charakterstudie geschaffen, von der sich so manch ein Filmemacher eine Scheibe abschneiden könnte.
Regie und Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, basierend auf der Kurzgeschichte von Cornell Woolrich, Darsteller: Margit Carstensen, Karlheinz Böhm, Barbara Valentin, Peter Chatel, Filmlänge: 116 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 14.12.2017