Schloss aus Glas
„Er hatte seine guten Momente“, sagt eines der Geschwister der erwachsenen Hauptfigur (Brie Larson), deren Kindheitserinnerungen die auf zwei Zeitebenen angelegte Handlung bestimmen, über ihren Alkoholiker-Vater Rex (Woody Harrelson). Ein ähnliches Fazit bleibt nach Destin Daniel Crettons Adaption von Schloss aus Glas der realen Jeannette Walls.
Zu verdanken sind die Lichtblicke der hervorragenden Besetzung: Die Kinderdarsteller Ella Anderson, Sadie Sink und Charlie Stowell, besonders jedoch Larson und Harrelson tragen das dramatische Gewicht der Story, die den Regisseur und Co-Drehbuchautor so fühlbar fremd blieb wie das Erleben der Kinder. Dabei ist deren Perspektive Kern der Buchvorlage, die scheinbar einzig aufgrund des Bestseller-Status für die Prestigeverfilmung auserkoren wurde.
Ein verzerrter Fokus auf Jeannettes Beziehung zu zwei gegensätzlichen Männern – ihrem Vater und ihrem farblosen Verlobten (Max Greenfield) ist nur eine der zahlreichen Schwächen, die das Familiendrama letztlich zu einer frustrierenden Erfahrung machen. In einem Subplot verspricht Rex der Zweitältesten Jeannette das titelgebende Glasschloss zu bauen und legt sogar das Fundament. Doch statt das auf dem Papier vorgezeichnete Prachtwerk zu errichten, macht er aus dem Baugrund lieber eine Müllkippe.
Ähnlich achtlos verfährt Cretton mit Walls Geschichte. Harsche Themen wie die soziale Stigmatisierung der nomadischen Familie werden romantisiert oder komplett gestrichen. Als Lückenfüller in der zerstückelten Biografie dienen sentimentale Klischeeszenen, die nachhaltig die Authentizität der Ereignisse untergraben.
Nur ansatzweise überdauert die implizite Kritik an einem System, das ebenso zum Elend der Kinder beiträgt wie die Eltern. Schwimmen oder untergehen ist der Leitsatz einer Gesellschaft ohne soziales Sicherheitsnetz. Jeannette lernt das von ihrem Vater in einer brutalen Schwimmstunde und gibt die Lektion in ihren Memoiren weiter. Die Kinofassung hingegen macht die Lebensumstände der Familie an persönlichem Versagen fest und imaginiert sie gar als dankbare Grundlage für Walls spätere Schriftstellerkarriere.
Die trübe Realität übertüncht eines der ältesten US-amerikanischen Ideale: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ oder in diesem Fall: vom abgerissenen Mädchen zur gestylten Bestseller-Autorin. Dieses Märchen ist wie das oft beschworene Glasschloss nichts als ein leeres Versprechen.
Regie: Destin Daniel Cretton, Drehbuch: Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham, basierend auf dem Roman von Jeannette Walls, Darsteller: Brie Larson, Woody Harrelson, Naomi Watts, Ella Anderson, Filmlänge: 127 Minuten, Kinostart: 22.09.2017