Triple 9
Triple 9, der neue Thriller von John Hillcoat, bietet eine angenehm unaufgeregte atmosphärische Handlung, aber zu kurz geratene, weil kaum vorhandene Figurenentwicklung – wäre als TV-Serie vielleicht besser gewesen.
In Atlanta regiert die Russenmafia mit brutaler Gewalt, angeführt von der skrupellosen Irina Vlaslov (der wie immer herrlichen Kate Winslet). Um ihren Mann aus dem Gefängnis zu befreien, hält sie sich die ehemaligen Soldaten Michael Belmont (Chiwetel Ejiofor), Russel Welch (Norman Reedus) und seinen Bruder Gabe (Aaron Paul) und die beiden korrupten Polizisten Marcus Atwood (Anthony Mackie) und Jorge Rodriguez (Cliffton Collins Jr.), die für sie Überfälle ausführen um belastendes Material gegen ihren Mann verschwinden zu lassen. Doch für ihren vermeintlich letzten Auftrag braucht die Gruppe ein perfektes Ablenkungsmanöver, eines auf das der grossteil der Polizei reagieren wird. Den Mord an einem Polizisten im Dienst, den Code „999“, um im anschließenden Chaos den Coup auszuführen. Der neue Partner von Marcus, der idealistische Neuling Chris (Casey Affleck) scheint geradezu prädestiniert für die Opferrolle zu sein. Wäre da nicht auch noch sein Onkel Jeffrey Allen (Woody Harrelson), der bereits gegen die Räuber ermittelt.
Triple 9, der neue Film von John Hillcoat (Lawless, The Road), klingt bei dieser Ansammlung an Figuren nicht nur überfrachtet, er ist es stellenweise auch. Während die Geschichte vergleichsweise geradlinig und manchmal sogar überraschend unspektakulär verläuft, bietet der Thriller jedoch eine Fülle an potenziell interessanten Charakteren an. Da das Format des Spielfilms eine striktere zeitliche Limitierung aufweist als zum Beispiel eine Mini- oder eine TV-Serie, hat Hillcoat nicht genügend Zeit um auch wirklich alle Figuren souverän und vielschichtig in Szene zu setzen. Abstriche und Kürzungen sind ein unvermeidliches Übel an dem Triple 9 leidet. Als Resultat müssen viele der handelnden Personen auf Klischees reduziert werden. Was Schade ist Angesichts des Potenzials, das diese durchaus episch-tragische Geschichte um Gier, Rache, Verrat und Loyalität bieten würde. Jede der Figuren hätte sich mehr Zeit für ihre eigene Entwicklung verdient, aber der Spielfilm kann ihnen diese Zeit nicht einräumen, weshalb die dargestellte Figurenriege in ihrem Progress von „Randnotiz“ über „Klischee“ bis hin zu „Banalität“ changiert, in all ihnen steckt der Hauch von vielschichtigen Charakteren, aber eben nicht mehr.
Dies schlägt sich naturgemäß auch in den schauspielerischen Leistungen nieder. Allen voran ist es Kate Winslet, die ihre Szenen nicht nur mit ihrer natürlichen Gravitas erfüllt, sondern Irina auch eiskalt und (beinahe) fern jeglicher Klischees als eine Frau spielt, die tut was sie tun muss um ihr Imperium am Leben zu erhalten, der aber gleichzeitig auch nicht alles gefällt, was sie tut. Clifton Collins Jr. ist es mit seiner Leistung hoffentlich endlich gelungen sich aus dem Schatten anderer Schauspieler heraus zu manövrieren, wenngleich das Drehbuch auch ihn im Verlauf zu einer abgedroschenen Figur verkommen lässt, die man bereits aus zahlreichen anderen Cop-Thrillern kennt.
Die restlichen Leistungen, wie die von Casey Affleck, Chiwetel Ejiofor, Anthony Mackie und Woody Harrelson sind gewohnt gut und souverän, liegen aber doch weit hinter dem zurück, wozu diese Schauspieler eigentlich fähig sind – was wiederum dem hoffnungslos überladenen Drehbuch geschuldet ist und nicht den Schauspielern selbst. Zu einer belanglosen Randnotiz verkommen vor allem Teresa Palmer (als Afflecks Frau) und Gal Gadot (als Michaels Ex-Frau und Mutter des gemeinsamen Kindes). Wirklich enttäuschend ist vor allem Aaron Paul. Weniger seine Leistung (die durchaus gut ist), als vielmehr seine Besetzung in dieser Figur, denn im Grunde spielt er niemand anderen als Jesse Pinkman aus Breaking Bad, nur halt mit Waffentraining und Kampfeinsätzen in seine Vorgeschichte implementiert.
Wer sich nun ein Milieu-Porträt erwartet im Stil von Michael Mann’s Heat, einen Abstieg in die Hölle korrupter Polizisten wie in Training Day oder dem harten Alltag von ehrlichen Polizisten wie in End of Watch oder eine spannende Studie über Gewalt und ihre Auswirkungen auf die Figuren wie in A Most Violent Year wird nicht zwangsläufig von Triple 9 enttäuscht werden, denn Anleihen an diese Filme finden sich zu genüge, aber andererseits dann doch die erwähnten Thriller-Dramen ansprechender finden, da sie sich konsequenter auf ihr Thema fokussieren. Was Triple 9 jedenfalls überraschend gut gelingt, ist die Erzeugung von Spannung und einer dichten, glaubwürdigen Atmosphäre. Der Handlungsverlauf bleibt großteils ungewiss, auch wenn man sich am Ende vielleicht denkt, dass es ja eigentlich nur so hat ausgehen können. Und das Finale ist in gewisser Weise erfrischend unspektakulär.
Triple 9 ist also durchaus unterhaltsam und ein großteils spannender Thriller, wenn man über die Tatsache hinweg sieht, dass die Geschichte und vor allem die durchwegs tragischen Figuren einen weitaus komplexeren Film oder vielmehr TV-Serie abgegeben hätten. Denn die größte Schwäche des Thrillers ist das Drehbuch und innerhalb seiner Vorlage die zu stark auf das Spielfilmformat beschnittene und krampfhaft verkürzte Figurenentwicklung. Wer jedoch einfach einen soliden, unterhaltsamen Cop-Thriller sehen mag, der kann sich Triple 9 guten Gewissens zu Gemüte führen.
Regie: John Hillcoat, Drehbuch: Matt Cook, Darsteller: Casey Affleck, Woody Harrelson, Kate Winslet, Anthony Mackie, Chiwetel Ejiofor, Norman Reedus, Aaron Paul, Clifton Curtis Jr., Filmlänge: 109 Minuten, Kinostart: 05.04.2016, www.triple9-film.de