Virtue’s Last Reward
Eine interaktive Geschichte, in welcher der Spieler zahlreiche bedeutsame Entscheidungen trifft, die den Verlauf in seinem Sinne entscheidend beeinflussen? Wie oft wird uns das versprochen – und wie oft müssen wir am Ende feststellen, dass der enorme Design-Aufwand eines Videospiels doch nur einen gut durchdachten Handlungsstrang übrig lässt.
Da kann ein Spieler bei Mass Effect über drei Teile (zu unseren Kritiken) hinweg die unterschiedlichsten Entscheidungen treffen, am Schluss führt alles wieder zum selben Punkt. Sein ganzes Handeln ausgekoppelt, fühlt sich ein Spieler entmündigt und betrogen. Und gerade bei Videospielen, die mit ihren interaktiven Möglichkeiten auf den Einfluss des Spielers angewiesen sind, ist das immer wieder eine verpasste Gelegenheit. Ein Genre, das es allerdings versteht genau diese Stärken auszuspielen, ist das der „Visual Novels“, die eigentlich eher in Japan Verbreitung gefunden haben. Die besten Vertreter daraus verstehen es, kunstvoll weit verzweigte Handlungsstränge aufzuspannen, die mit ihren komplexen Zusammenhängen den Spieler nicht los lassen, ehe er jede erdenkliche Möglichkeit ausführlich erforscht hat. Zu eben diesen Highlights darf sich der NDS-Titel Nine Hours, Nine Persons, Nine Doors (999) aus dem Jahre 2010 zählen.
Als interaktiver Psychothriller schaffte der Instant-Klassiker einen Spannungsbogen, der kaum jemanden über dutzende Stunden hinweg auch nur für einen Moment wieder losließ. Mit mehr Mysterien als ein Sack voll kleiner Zehen wurde der Spieler in eine unvergleichliche Atmosphäre aus Verstörung und Verwirrung versetzt, ehe das Geschehen in einem grandiosen Finale noch einmal eine Wendung nahm, die wohl niemand jemals wieder vergisst.
Dabei ist das Ausgangsszenario ein simples: neun Personen erwachen und finden sich in einem sadistischen Spiel gefangen, aus dem sie nur mit Kooperation entkommen können. Mit einem ausgewählten Team gilt es zum Vorankommen Rätsel im „Escape the room“-Stil zu lösen. Während sich die Lage immer weiter verschärft stellt sich heraus, dass überhaupt nicht klar ist, wem in der Gruppe noch zu trauen ist: Mordkomplotte, Intrigen, Verrat, mysteriöse Motive – die Handlung präsentiert sich so vielschichtig, dass nur das mehrmalige Durchspielen wirklich Licht auf die Ereignisse wirft. Das Besondere am Ablauf: An bestimmten Punkten trifft der Spieler schwerwiegende Entscheidungen, die den gesamten Verlauf der Handlung völlig neu definieren.
So trifft er mit unterschiedlichen Personen auf alternative Räume und alle Abläufe ändern sich entsprechend. Mysteriöse Todesfälle, keiner davon unerwarteter als der eigene, beginnen beispielsweise erst Sinn zu machen, wenn der Spieler in einem alternativen Ablauf in einem Raum auf eine Waffe trifft: Wer war eigentlich das letzte Mal in diesem Raum mit wem und was bedeutet das für meine derzeitige Situation? Mit Virtue’s Last Reward kommt nun ein Sequel auf dem 3DS heraus, welches im Grunde das selbe Prinzip anwendet und es tatsächlich schafft, den einzigartigen Ablauf der Vorgängers zu wiederholen, ohne dabei schal oder verbraucht zu wirken.
Zentrale Thematik der Ereignisse ist diesmal das Gefangenendilemma. Dabei handelt es sich um ein Problem aus der Spieltheorie: Zwei Spieler können sich entscheiden – entweder für eine Belohnung zusammen zu arbeiten, oder sich gegenseitig zu verraten und leer auszugehen. Verrät jedoch nur EIN Spieler den anderen, welcher kooperiert, winkt ein enormer Bonus – während der verratene Spieler bestraft wird. Kernaussage ist, dass sich aus individueller Sicht immer der Verrat lohnt, während aus kollektiver Sicht die Kooperation zum besseren Ergebnis führt. Und eben jenes Prinzip ist es, das in Virtue’s Last Reward die Handlung voran treibt. Alle neun Teilnehmer haben nichts zu tun, als dreimal miteinander zu kooperieren um sich aus ihrer Lage zu befreien. Doch natürlich gestaltet sich das Ganze nicht so einfach und räumt wie bereits im Vorgänger genügend Spielraum ein, in dem sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten entfalten können. Verzweiflung und Eskalation sind vorprogrammiert und auch für den Spieler wird die Entscheidung, bei der Abstimmung zu kooperieren oder zu verraten, immer schwieriger.
Dabei ist das Geschehen diesmal sogar noch umfangreicher: Mehr Entscheidungen, mehr Handlungsstränge, mehr Enden. Dementsprechend braucht der Ablauf diesmal auch etwas länger um in die Gänge zu kommen, was allerdings nicht ins Gewicht fällt, da eine neue Menü-Option hinzu gefügt wurde, mit der man jederzeit in andere Handlungsstränge springen kann, ohne die vorangehenden Ereignisse wiederholen zu müssen. Der Spieler hat dabei eine einzigartige Fähigkeit: Er kann Erinnerungen in die Vergangenheit mitnehmen und so mit der neuen Information versuchen, einen anderen Verlauf zu begünstigen. Man wird selbst zum Idealbild eines Zeitreisenden – bekannte Gesichter, veränderte Umstände: die größte Herausforderung ist es dabei, den Überblick zu behalten.
Vom Ablauf her hat sich nicht viel verändert, außer das diesmal die Charaktere und Rätsel-Räume komplett in 3D gehalten sind und damit etwas kohärenter wirken. Die Umsetzung ist dabei vor allem auf dem 3DS ein wenig schlampig: zweidimensionale Screenshots schweben teilweise flach im Raum und passen nicht einmal in das Bildformat. Darüber hinaus ist Vorsicht geboten, denn ein kritischer Bug kann für 3DS-Spieler den Spielfortschritt auslöschen! Kleiner Tipp: Niemals in Rätselräumen abspeichern. Der Textanteil ist diesmal etwas reduziert, darüber hinaus hält sich die Erzählung mit der grausamen Gewalt etwas zurück, was die Lage natürlich leider etwas entschärft. Die Musik-Kulisse schafft es aber wie gewohnt, dem Ablauf eine paranoide Note zu verpassen.
Letzten Endes ist Virtue’s Last Reward ein eindrucksvolles Sequel. Genauso packend – dabei aber umfangreicher – ist der einzige Rückschritt die Tatsache, dass sich die emotionale Tragweite von 999 eben nicht wiederholen lässt. Aber auch so ist diese Fortsetzung ein Pflichtkauf und wird das Warten auf einen dritten Teil nicht leicht machen.
Plattform: PS Vita, 3DS (Version getestet), Spieler: 1, Alterfreigabe (PEGI): 16, Release: 10.03.2013, http://virtueslastreward.com