Viennale-Vorverkauf,-50-Jahre-Viennale-©-2012-Hellmut-Goebl,-Viennale

Viennale V’12 Geheimtipps, Teil Eins

Vor wenigen Tagen startete der alljährliche Ticketvorverkaufs-Wahnsinn der Viennale und obwohl es manch einer nicht für möglich halten mag, dass an einem herbstlich kalten Samstagmorgen gegen 10 Uhr in Wien schon so viel passieren kann, waren wie immer einige Filme in unfassbarer Kürze ausverkauft – so etwa Thomas Vinterbergs „Jagten“, Jem Cohens „Museum Hours“, Benh Zeitlins „Beasts of the Southern Wild“, Peter Stricklands „Berberian Sound Studio“ (das leider im viel zu kleinen Metro-Kino programmiert wurde), Rebecca Thomas‘ „Electrick Children“ oder Miguel Gomes‘ „Tabu“…

Doch Langschläfer und Spätentschlossene brauchen nicht in Panik zu geraten, denn auch abseits der ausverkauften Publikumslieblinge lassen sich so einige Kostbarkeiten im Programm entdecken, für die es im Augenblick noch genügend Karten zu geben scheint. Und oft entpuppen sich bei der Viennale ja gerade die unauffälligsten Filme als größte und schönste Entdeckungen. Wir wollen euch hier 10 (natürlich ganz subjektive) Empfehlungen ans Herz legen:

1. Wadjda

Das Spielfilmdebüt der saudiarabischen Regisseurin Haifaa Al Mansour ist eigentlich ein kleines Wunder, kommt der Film doch zu uns aus einem Land, in dem Kinos verboten sind und Frauen nicht Autofahren dürfen. Al Mansour erzählt uns die Geschichte von der 11-jährigen Wadjda, die sich ein Fahrrad kaufen möchte. Doch auch das ist jungen Mädchen in der von männlicher Macht geprägten saudiarabischen Gesellschaft strengstens untersagt und so stößt ihr Vorhaben auf großes Entsetzen. Der Film „Wadjda“ wirft – ganz ohne anzuprangern – einen eindringlichen Blick auf den normalen Alltag einer für unsere westlichen Verhältnisse schier unfassbaren Welt der Frauenunterdrückung. Allein dass es Haifaa Al Mansour gelungen ist, ihr Werk in ihrem Heimatland zu realisieren, verdient unglaublich großen Respekt. Ein sicherlich erschütternder und berührender – ein wichtiger Film.

2. Kebun Binatang (Postcards from the Zoo)

Der indonesische Regisseur Edwin entführt uns in seinem Spielfilm an den Lieblingsort seiner Kindheit – den Tierpark von Jakarta. Dort treffen wir neben Giraffen, Tigern, Nilpferden und Nasenbären auf Lana, die als kleines Mädchen von ihrem Vater im Zoo ausgesetzt und daraufhin von den Zoowärtern aufgezogen wird. Edwin präsentiert uns den Tierpark mit seinen Bewohnern nicht nur als Lebensraum, sondern auch als surrealen Ort der Sehnsüchte und Träume. „Postcards from the Zoo“ ist ein ruhiger, ein magischer und fast wortloser Film, der jedoch mit seinen Bildern und Gesten erstaunlich viel zu sagen vermag.

3. Csak A Szél (Just the Wind)

In den Jahren 2008 und 2009 fielen in Ungarn an die acht Menschen rassistischen Anschlägen zum Opfer. Ziel der immer wieder eskalierenden Aggression sind die dort ansässigen und in ärmlichen Verhältnissen lebenden Roma. Regisseur Bence Fliegauf baut seinen Film „Just the Wind“ auf der erschütternden Wirklichkeit auf und erzählt von einem ungarischen Dorf, in dessen Umgebung bereits fünf Roma-Familien samt Kindern ermordet wurden – niedergeschossen in ihren eigenen Häusern. In Folge eines solchen Mordes versuchen Mutter Mari und ihre beiden Kinder, ebenfalls Roma, den Alltag zu überstehen. Fliegauf folgt ihnen bei dem Bestreben, sich angesichts der allgegenwärtigen Bedrohung so unauffällig wie möglich zu verhalten, sich am liebsten in Luft aufzulösen. Es ist eine Welt der Angst, der überall lauernden Lebensgefahr, die hier schon allein durch Blicke eine entsetzliche Spannung schürt und von Anfang an den Atem stocken lässt. „Das ist Kinematografie in Vollendung“, schreibt der Viennale-Katalog. Bei einem solchen Lob sollte man schon eine Kinokarte riskieren.

4. Dupǎ Dealuri (Beyond the Hills)

Im Jahr 2005 erregte in Rumänien der Fall einer 24-Jährigen großes Aufsehen, die, nachdem sie in ein orthodoxes Kloster eingetreten war, dort an den Folgen eines Exorzismus verstarb. Nun mag sich so manch einer wohl mittlerweile längst satt gesehen haben an Exorzismus-Filmen basierend auf realen Begebenheiten. Und auch die Länge von zweieinhalb Stunden wirkt ernüchternd. Doch wenn das bereits eher verbrauchte Thema von dem rumänischen Regisseur Christian Mungiu aufgegriffen wird, dann darf man mit gutem Recht neugierig sein. Mungiu gewann bereits mit seinem großartigen, wenn auch schwer verdaulichen Film „4 Months, 3 Weeks and 2 Days“ im Jahr 2007 die Goldene Palme in Cannes. „Beyond the Hills“, der bereits mit den Preisen für bestes Drehbuch und beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, ist ein sehr langsamer, kunstvoll-schlicht inszenierter Film, der mitsamt all seinen aufgeworfenen Fragen noch Tage lang nachhallen wird.

5. Zavtra (Tomorrow)

Viennale ist immer auch ein großes Stück politisches Kino – und bietet uns zumindest einmal im Jahr die Möglichkeit, tiefere Einblicke zu gewinnen in Geschehnisse aus anderen Teilen der Welt, von denen wir im Rest des Jahres meist nur peripher über Schlagzeilen erfahren. So hörte man wohl während der letzten Monate in allen Medien immer wieder vom skandalösen Pussy Riot – Gerichtsverfahren. Durch die feministische, regierungskritische Punkrock-Band aus Moskau stieg politische Aktionskunst wieder zum weltweit diskutierten Thema empor. Wenige wissen jedoch, dass Pussy Riot in ihrer Frühzeit Teil des russischen Street-Art-Kollektivs Voina („Krieg“) waren. Andrey Gryazev begleitet in seinem Dokumentarfilm die subversive Künstlergruppe bei ihren meist nächtlichen Streichen, die auf witzige, intelligente und vor allem wirkungsvolle Weise das autoritäre Regime provozieren und bloßstellen. Dass das nicht immer glimpflich ausgeht, ist zu erwarten.