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Eine dunkle Begierde

7
Drama

David Cronenbergs Filme kann man nicht unbedingt als leichte Kost bezeichnen. Und die  Dreiecksbeziehung zwischen Freud, Jung und der ‚Hysterikerin’ und angehenden Analytikerin Spielrein klingt nicht minder nach Psycho der besonderen Art. Nicht so das Ergebnis: Mit „Eine dunkle Begierde“ liefert Cronenberg ein beinahe klassisch anmutendes Sittenbild…

Der  Film, der den englischen Titel „A Dangerous Method“ trägt, beruht auf dem Theaterstück „The Talking Cure“ („Die Methode“) des Briten Christopher Hampton, das wiederum auf dem Buch „A Most Dangerous Method“ von John Kerr  basiert.

Sabina Spielrein (Keira Knightley), Tochter eines wohlhabenden russisch-jüdischen Kaufmanns, wird aufgrund wiederkehrender Anfälle in die Zürcher Klinik von C. G. Jung (Michael Fassbender) eingeliefert. Dieser wendet an ihr eine neue Methode, die Psychoanalyse nach Sigmund Freud, an. Mit Freud (Viggo Mortensen) verbindet Jung eine projizierte Vater-Sohn-Beziehung,  in der er das psychoanalytische Erbe auf sich nehmen soll, der er aber in der Entwicklung seiner eigenen Theorien nicht gerecht werden kann. Um die  Auslöser von Spielreins Attacken zu lokalisieren, führt Jung sie an Erlebnisse und Erfahrungen ihrer Kindheit heran, die ihr selbst erst im Erzählen bewusst werden. Grund der Anfälle ist ein unterdrücktes masochistisch geprägtes, sexuelles Lustempfinden, das von der Bestrafung durch die Hand ihres Vaters motiviert ist. Schließlich geht Jung eine Affäre mit Spielrein ein, in der er beim Sexualakt den Part des ‚Vaters’ übernimmt. Verheiratet (mit Emma, dargestellt von Sarah Gadon) und in Erwartung der Geburt seines ersten Kindes, droht ihm bald ein Skandal, den er mit der Beendigung des Verhältnisses verhindern möchte. Es beginnt ein Briefwechsel, in dem sich Jung mit Freud über den Fall austauscht.

Es handelt sich um eine wahre Episode aus der Geschichte der Psychoanalyse, die den historischen Fakten folgt, doch einen Fokus auf Spielrein legt – im Wesentlichen über ihr Verhältnis mit Jung. Dunkel ist die Begierde also in mehrerlei Hinsicht. Bei Jung handelt es sich nicht nur um eine Verletzung seiner Ehe, sondern auch um einen Bruch mit dem Freudschen Wissenschaftsethos. Gleichermaßen liegt in Jungs Unaufrichtigkeit gegenüber Freud die Missachtung von dessen Vormachtstellung als Patriarch der psychoanalytischen Familie. Diesen Status fordern die Dialoge zwischen Freud und Jung immer wieder ein. Auch Jungs Abwendung vom freudschen Weg folgt einer dunklen Begierde, dem Glauben an ‚Magie’. Spielreins Begehren entspringt darüber hinaus einem dunklen Ursprung, sowohl in Bezug auf das Unbewusste, als auch das Erlebnis, das verdrängt wurde.

Doch Cronenbergs filmische Umsetzung folgt mehr dem Prinzip einer „Talking Cure“, des Erzählens und nicht des Erlebens. Das ebenfalls von Christopher Hampton stammende Drehbuch setzt die Protagonisten in ein Spiel, das noch die Züge eines Theaterstücks trägt. Auch die Bilder, vor allem beim Blick aus Fenstern, lassen an Bühnenbilder denken. Die vielschichtigen emotionalen und intellektuellen Verstrickungen bleiben schablonenhaft. Obwohl hier das Triebhafte verhandelt wird, ist „Eine dunkle Begierde“ von einer gewissen Emotionslosigkeit und Starrheit geprägt. Das legt den Schluss nahe, Cronenberg wäre es gelungen, den analytischen Blick an die Besucher weiterzugeben und diese somit zu ‚Lesern’ einer Fallstudie zu machen.

Um das Analytische scheint es Cronenberg bei aller Liebe zu ausführlichen Dialogen zwischen Freud und Jung aber nicht gegangen zu sein. Denn die Methode selbst bleibt im Dunkeln. Die Beziehung zwischen Jung und Spielrein steht im Vordergrund. Regelrecht reißerisch beginnt Cronenberg den Film. Er lässt Spielrein mit bedrohlicher Musik und Tempo während eines hysterischen Anfalls mit einer Kutsche in die Klinik bringen. Dann gibt es immer wieder mal Cronenbergsche Appetizer in Form von, allerdings sehr braven, sadomasochistischen Sexszenen. Vor und danach unterhält sich Freud mit Jung über die Zukunft der Psychoanalyse. Zur Komplettierung des Beziehungsdreiecks bleibt Freuds Rolle darin aber zu undeutlich. Und am Ende wird es sentimental: Jung gesteht Spielrein, dass seine Liebe zu ihr die wichtigste Erfahrung seines Lebens war. Cronenberg  lässt Freud über Jung triumphieren, indem er die von diesem zurückgewiesene Vormachtstellung des Sexuellen für seine Entwicklung wesentlich verantwortlich macht.

Das Schauspiel ist sehr gut. Keira Knightley zeigt, dass sie es kann. Sowohl Fassbender als auch Mortensen geben einen etwas steifen Typus von Analytiker, deren Denkarbeit und Sprachlastigkeit sie den Rest des Kommunikationsrepertoires vergessen lässt. Nur Knightley scheint für Cronenbergs Vorliebe für Extreme empfänglich zu sein, da sie die anfänglichen Symptome der Hysterie bis zum Äußersten steigert. Ihre Performance, die dominante Inszenierung ihrer Psyche und ihres Körpers, zeigt damit vielleicht am deutlichsten, dass es sich um einen Film von David Cronenberg handelt. „Eine dunkle Begierde“ hat, weit entfernt von den damaligen Moralvorstellungen, keine Schockwirkung zu bieten. Es ist ein wenig so, als hätte Cronenberg die sonst an der Oberfläche gezeigten Abgründe wieder in ihre psychoanalytischen Schranken verwiesen.

Regie: David Cronenberg, Drehbuch: Christopher Hampton, Darsteller: Viggo Mortensen, Keira Knightley, Michael Fassbender, Vincent Cassel, Sarah Gadon, Laufzeit: 99 Minuten, Kinostart: 11.11.2011