Shutter Island (c) 2009 Constantin

Shutter Island

7
Psycho-Thriller

Regielegende Martin Scorsese meldet sich nach seinem Oscar-gekrönten Undercoverthriller The Departed – Unter Feinden nach vier Jahren auf der großen Leinwand zurück, des Meisters liebste Muse ist ebenfalls wieder mit an Bord. Nur die Thematik ist erstmals Neuland: Statt der Schilderung eines besonders haarsträubenden Gangsterlebens steht nun eine entlegene Haftanstalt und ihre Insassen im Zentrum des Geschehens. 

Es ist das Jahr 1954. Der Bostoner US-Marshall Edward „Teddy“ Daniels (Leonardo DiCaprio) ist mit seinem neuen Partner Chuck (Mark Ruffalo) unterwegs zu einer abgelegenen Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Das Duo wurde entsandt, um einem merkwürdigen Fall auf den Grund zu gehen: Eine Insassin verschwand von einen Tag auf den anderen, ohne jegliche Spur, Motiv oder Fluchtmöglichkeit – den Shutter Island ist eine entlegene Insel mit starken Witterungseinflüssen.

Die Lösung des ohnehin schon komplizierten Sachverhaltes erschwert der leitende Psychiater der Anstalt, Dr. Cawley (Ben Kingsley) sowie die seltsam distanzierte und nicht besonders kooperative Belegschaft des stark befestigten Hochsicherheitskomplexes. Nur die eigentümlichen Hinweise befragter Inhaftierter lassen Teddy nicht von seinem Vorhaben abkommen, das Geheimnis von Shutter Island zu lüften – und zugleich mit seiner eigenen, dunklen Vergangenheit abzurechnen.

Regisseur Martin Scorsese kann bei Shutter Island seine Stärken als erfahrener Filmemacher voll ausspielen: Die Komposition von Bild und Ton meistert wohl keiner seiner Zeitgenossen auf dem hier gezeigten Level. Auch die gesamt Ausstattung kann durch eine akribisch inszenierte, sowie atmosphärisch umwerfenden Szenerie beeindrucken – verantwortlich für das Production Design ist erneut Dante Ferretti, der schon bei anderen Scorsese-Produktionen wie etwa Gangs of New York und The Aviator sein Talent unter Beweis stellen konnte.

Das durchgehend hochwertigen Darstellerensemble rund um DiCaprio erweist sich aber als zweischneidiges Schwert: Da sich der Fokus in vielerlei Hinsicht auf die Performance des Hauptdarstellers konzentriert, erscheinen Nebendarsteller mehr unbedeutend als maßgeblich für das Gesamtbild, wobei erst mit dem Twist am Ende der Erzählung der Vorhang dahingehend geöffnet und verständlich wird. Ruffalo als untersetzter, aber wichtiger Support kann nach DiCaprio mit seiner Darstellung besonders überzeugen – ob die Leistung des (emotional) versteinert wirkenden Ben Kingsley tatsächlich als solche gelten sollte, darf im direkten Vergleich angezweifelt werden. Eine nette kleine Nebenrolle hat Max von Sydow ergattert, der diese trotz aller (drehbuchbedingten) Umstände Nachdruck verleihen kann.

Doch wo all der schöne Pomp der Inszenierung überwiegt und den Zuseher zu blenden vermag, zeichnet sich bei genauerer Betrachtung die selbe Problematik wie bei Scorseses anderen Post-2000 Werken heraus: So toll eine Vorlage auch sein mag, wenn gravierende Schwächen im Drehbuch vorhanden sind, kann auch ein hübscher Aufputz die Mängel des Gesamtwerks nicht überdecken (siehe etwa beim mit unsagbaren Längen versehenen Gangs of New York oder dem niemals zündenden Aviator). Anders sind einzelne Szenen (besonders haarsträubend ist das Gespräch in einer Höhle bei flackernden Lagerfeuer) nicht zu erklären: Wo es die Bildsprache und Inszenierung nicht schafft, dem Zuseher die Handlung zu vermitteln, wird einfach ein Dialogpartner vor die Linse gesetzt, der dem Publikum anschließend einfach erklärt, was es nicht weiß (oder anhand der bisherigen Hinweise kombinieren bzw. schlussfolgern kann).

Gerade bei einem mehr als zweistündigen Film – der dazu mit anfangs noch vielschichtigen bzw. mehrdeutigen Traumsequenzen angereichert wird – bleibt genügend Zeit, um solche deskriptiven Elemente zu vermeiden. Man darf dem Publikum doch eine gewisse filmdramaturgische Restintelligenz zumuten oder einfach durch geschickte Auslassungen einen Hauch von interpretativen Überlegungen Platz einräumen. Stattdessen verbleibt der Zuseher an einer bestimmen Stelle gegen Ende des Films in einem Handlunglimbo, in dem zwischen zwei (fast identischen) Erläuterungen bzw. Offenbarungen absolut nicht zu passieren scheint.

Das Ende selbst kann sich mit seiner großen, aber nicht besonders umwerfenden Überraschung gerade noch mit Mühe über das Mittelmaß erheben, wobei die daraus entstehenden Logikfehler innerhalb der Handlung sowie die Art und Weise, wie die gesamte (Leuchtturm-)Sequenz präsentiert wird, als überaus negativ behaftet anzusehen ist. Ebenso wie bei seinen Post-Millennium-Vorgängerfilmen (Ausnahme: The Departed) verlässt sich Scorsese mehr auf die Präsentation seiner episch anmutenden Handlungen als auf die Geschichten selbst, was eigentlich schade ist, da auch Shutter Island ohne weiteres Potential hätte, ein großer Wurf des Regiealtmeisters zu werden.

Originaltitel: Shutter Island, Regie: Martin Scorsese, Drehbuch: Laeta Kalogridis, Darsteller: Leonardo DiCaprio, Ben Kingsley, Mark Ruffalo, Laufzeit: 138 Minuten, Filmstart: 26.02.2010