Aftersun
Urlaubsvideos sind das neue Kino. Das jedenfalls vermitteln die kuriose Kongruenz der zeitnah im Kino startenden und diesjährig in Cannes aufgeführten Ferienclips Annie Ernaux’ und Charlotte Wells Aftersun.
Auch wenn das phlegmatische Kinodebüt der schottischen Regisseurin filmisch nicht ganz so faul ist wie die Super 8 Years der französischen Literatin, wirken die darbieterische, inhaltliche und konzeptionelle Nähe der beiden Werke und deren positive Rezeption geradezu emblematisch für eine eskalierende Egomanie der bürgerlichen Mittelschicht. Deren wachsender Hunger nach Selbstbestätigung äußert sich einerseits in der exhibitionistischen Exposition biografischer Banalitäten, andererseits in deren Konsum, der ihr vermittelt, der eigenen triviale Alltag berge ebenfalls tiefsinniges Drama.
Dieses nüchterne Fazit bleibt die einzige Erkenntnis der autobiografisch apostrophierten Kompilation wackeliger Handkamera-Bildern und kalkulierten Kleinfamilien-Kitsches. Der Türkei-Pauschaltrip der 11-jährigen Sophie (Frankie Corio) mit ihrem jungen Vater Calum (Paul Mescal) erschöpft sich im beständigen Antäuschen irgendeiner dramaturgischen oder psychologischen Entwicklung, die dem trägen Tourismus-Programm rückblickend eine Bedeutung geben würde.
Story und Figuren sind gleichermaßen statisch. Zeitsprünge in die Gegenwart der erwachsenen Sophie (Celia Rowlson-Hall) sind nur ein leeres Gimmick, genau wie die visuelle Variation zu ihren kindlichen Kameraspielereien. Das naturalistische Schauspiel ist überzeugend, doch das ist zu wenig für 100 Minuten semi-biografischer Selbstbespiegelung, getränkt von mittelständischer Monotonie und nostalgisch verklärten Narzissmus.
Regie und Drehbuch: Charlotte Wells, Darsteller: Paul Mescal, Frankie Corio, Celia Rowlson-Hall, Kayleigh Coleman, Sally Messham, Harry Perdios, Filmlänge: 102 Minuten, Kinostart: 15.12.2022