The 355
Im Grunde ist Simon Kinbergs Agenten-Action The 355 genauso ein Gender-Switch-Abklatsch wie sein unverkennbares Vorbild Ocean’s 8. Nur wurden für das von Hauptdarstellerin und Produzentin Jessica Chastain vorgeschlagene Konzept statt eines bestimmten Filmes eine ganze Reihe derivativer Spionagethriller durch den Wolf gedreht. Das Resultat ist ein humor- und logikfreier Blockbuster, dessen weibliche Besetzung für die Story genauso gleichgültig ist wie deren unterschiedlichen Nationalitäten. Nicht nur das Casting der spanischen Penélope Cruz als kolumbianische Psychologin Graciela unterstreicht, dass die trotz des halsbrecherischen Tempos schwerfällige Inszenierung der werbewirksam hervorgehobenen Diversität und Progressivität nicht nur gleichgültig gegenübersteht, sondern sie als Schwäche betrachtet.
Auf ihrer Reiseprospekt-Jagd nach einem Hightech-McGuffin entwickeln Chastain trotz ihrer Schwäche für Baddie Sebastian Stan als „knallhart“ beschriebene Agentin Mace, MI6-Hackerin Khadijah (Lupita Nyong’o), BND-Sprengstoffexpertin Schmidt (Diane Kruger), Graciela und die verspätet hinzustoßende Lin Mi Sheng (Fan Bingbing) weder Individualität noch kameradschaftliche Chemie. Der geschichtsträchtige Titel behauptet einen Revolutionsgeist, den der konform-konservative Plot konterkariert. Traditionelle Weiblichkeitsbilder, verkörpert durch Graciela, bezeichnen Schwäche. Die Stärke der übrigen Teammitglieder wird darüber definiert, dass sie so sadistisch, unethisch und egoistisch handeln wie die männlichen Gegenspieler ihrer tadellos choreografierten Kämpfe. Zweifelhafter als die pseudo-feministische Fassade ist lediglich der aufgesetzte Moralismus.
Regie: Simon Kinberg, Drehbuch: Simon Kinberg, Theresa Rebeck, Darsteller: Jessica Chastain, Sebastian Stan, Diane Kruger, Penélope Cruz, Edgar Ramírez, Lupita Nyong’o, Fan Bingbing, Filmlänge: 124 Minuten, Kinostart: 06.01.2022