The Farewell
Wenig passiert und das sehr geruhsam in Lulu Wangs zweitem Spielfilm, dominiert von einer beeindruckenden Darstellung Awkwafinas.
Ihre Hauptfigur Billi, im Konflikt mit ihrer doppelten Außenseiterrolle in Familie und zwei Kulturen sowie einer bizarren Tradition, ist nur einer der Vorzüge eines trotz aller Langsamkeit berührenden Familienporträts. Dessen sarkastischer Humor entspringt ungewollter Komik verkrampfter Alltagsmomente, die Wang mit untrüglichem Gespür für Gesellschafts- und Familiendynamik einfängt. Fernab lauter Frontal-Gags entsteht ein tragikomisches Drama von Nähe und Distanz.
Zweite kontrastiert auf emotionaler Ebene mit altersbedingter und lokaler Entfernung der Protagonisten. Alle sind auf ihre Weise als Außenseiter innerhalb der in Japan, China und USA zerstreuten Sippe, die für eine Hochzeit und einen bevorstehenden Todesfall zusammenkommt, doch niemand mehr als Billi. Großmutter Nai Nai (Zhao Shuzhen) ist ihre letzte Verbindung zu ihrer abweisenden Verwandtschaft und dem entrückten Herkunftsland, wo sie genauso fremd ist wie den USA. Das übergreifende Gefühl der foreigness akzentuieren eigenwillige Traditionen.
Eine scheinen die Lügenmärchen, mit denen der Matriarchin die fatale Krebsdiagnose verschleiert wird. Angst sei tödlicher als Tumore und Takt wichtiger als ärztliche Auskunftspflicht. Aber sind die alltäglichen Flunkereien, die zu Beginn des symbolischen Abschiedsbesuchs von Vergangenheit und Zukunftsplänen zwischen den zwei zentralen Frauenfiguren ausgetauscht werden, legitimer als die scheinheilige Kollektivtäuschung? Verhindert Verschweigen unnötigen Schmerz oder verursacht es ihn? Wang interessieren weder Pauschalantworten noch Morallektionen, sondern die zwischenmenschlichen Nuancen einer bittersüßen Episode voll subtiler Pointen.
Regie und Drehbuch: Lulu Wang, Darsteller: Shuzhen Zhao, Awkwafina, X Mayo, Hong Lu, Hong Lin, Tzi Ma, Diana Lin, Julie Gaither, Becca Khalil, Filmlänge: 100 Minuten, Kinostart: 19.12.2019