Eva und der Priester
Wir kommen wieder zurück zu Jean-Pierre Melville. Nur diesmal nicht mit einem seiner Crime-Thriller, sondern dem Drama Eva und der Priester.
Während der deutschen Besatzung Frankreichs möchte die verwitwete Kommunistin Barny (Emmanuelle Riva) ihre halbjüdische Tochter zum Schutz vor Verfolgung katholisch taufen lassen. Bei den Vorbereitungen zur Taufe lernt sie den Priester Léon Morin (Jean-Paul Belmondo) kennen und wird von ihm in eine Sinn- und Glaubenskrise gestürzt. Ihren atheistischen Ansichten begegnet der Priester Morin mit theologischen Argumenten und bald darauf wird Barnys zunächst nur äußerer Konflikt mit dem Priester auch zu einem Inneren. Sie fühlt sich nicht nur immer stärker zu Morin hingezogen, sondern auch zu Gott und Religion.
Man merkt gleich, dass Eva und der Priester inhaltlich sehr wenig mit den meisten anderen (vor allem den bekannteren) Filmen von Jean-Pierre Melville zu tun hat und mehr Ähnlichkeiten zu seinem Erstlingswerk Das Schweigen des Meeres aufweist. Inszenatorisch jedoch ist Melville auch hier so sattelfest und stilsicher wie in seinen Thrillern und legt die Geschichte in ausdrucksstarke schwarz-weiß Bilder. Zudem beweist er mit dem Drama auch seine Fähigkeit mit sensibleren Themen umzugehen. Melville lässt sich nicht ausschließlich auf seine Gangster- und Crime-Filme reduzieren, gerade in seiner früheren Phase hat er sogar vermehrt im dramatischen Genre gearbeitet, siedelte seine Werke oftmals in der Kriegs- oder Nachkriegszeit an. Dennoch ist Eva und der Priester keines seiner Meisterwerke.
Das liegt nicht an seiner Regie oder den Schauspielern. Emmanuelle Riva brilliert als die in einer komplexen Krise und im ständigen Konflikt mit ihrer Umgebung und sich selbst befindlichen Protagonistin. Ihr äußeres und vor allem inneres Leid trägt sie mit subtilem, aber doch prägnantem Spiel zur Schau. Und auch Belmondo beweist Vielseitigkeit und seinen unwiderlegbaren Charme, der seinen Priester von einer potenziell verstockten katholischen Figur zu einer Ambivalenz verhilft, die man bei seinem ersten Auftritt im Film vielleicht nicht erwarten würde. Überraschenderweise hapert es in erster Linie am Drehbuch. Wie auch in Melvilles Spielfilmdebüt Das Schweigen des Meeres, verfilmt er auch hier einen Roman – und da zeigt sich erneut sein Problem.
Im filmischen Umgang mit literarischen Stoffen scheint Melville sich dramaturgisch nicht so wohl zu fühlen. Anstatt auf die Schauspieler und seine eigenen inszenatorischen Qualitäten zu vertrauen, überfrachtet er den Film mit einer Voice-Over Narration der Hauptfigur, die oftmals unnötig ist. Dabei ist an sich nichts gegen eine gelungene Voice-Over einzuwenden, doch in Eva und der Priester (wie auch in Das Schweigen des Meeres) nimmt sie hoffnungslos Überhand und trägt nur bedingt zur Atmosphäre und Erzählung bei, oftmals scheint ihre einzige Funktion ihr prosaischer Klang zu sein, der wenig mit einer filmischen Inszenierung zu tun hat und stellenweise eher langatmig und wie ein Hörspiel wirkt. Eva und der Priester mag also kein Meisterwerk im Schaffen von Jean-Pierre Melville sein, ist aber gerade aufgrund seiner anderen thematischen Ausrichtung ein spannendes Beispiel für die Vielfalt des französischen Filmemachers.
Regie und Drehbuch: Jean-Pierre Melville, basierend auf dem Roman von Béatrix Beck, Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Emmanuelle Riva, Irène Tunc, Nicole Mirel, Filmlänge: 113 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 05.09.2013