Mord im Orient Express
Ein unausstehlicher, pompöser, ermüdender, egozentrischer kleiner Widerling. So beschrieb Agatha Christie einst Hercule Poirot. Da scheint es direkt passend, dass auf der Leinwand ein vergleichbar aufgeblasener Akteur den belgischen Ermittler abgibt.
Anders als der Hauptcharakter mit Klebebart verrät Kenneth Branagh allerdings kein überragendes Genie, lediglich ein überragendes Ego. Um das zu streicheln, setzt er sich nicht nur auf den Regiestuhl, sondern primär selbst in Szene. Opfer dieser inszenatorischen Verfehlung ist das Murder-Mystery, das gleich dem titularen Zug auf der Strecke bleibt. Die markanten Passagiere, verkörpert von schwer unterforderten Darstellern, werden zu Stichwortgebern auf einer Prestigetour, die weniger Literaturverfilmung ist als Ego-Trip.
Der Ausgang ist aufgrund der Popularität der Romanvorlage und Sidney Lumets Adaption allgemein bekannt. Ihren anhaltenden Reiz verdankt die Story der geschliffenen Atmosphäre, dem mondänen Setting und Zusammenspiel der Protagonisten. Dieses ausgeklügelte Szenario torpediert das Drehbuch mit zusätzlichen Figuren, Handlungsorten und Dialogen Poirots. Erzählfluss, Fokus und Struktur verschleißt die Neuverfilmung, die sich trotz weniger Laufzeit länger anfühlt als die 1974er Version. Christie konzipierte die brillante Vorlage wie mehrere ihrer besten Werke als Kammerspiel. Branagh hingegen will möglichst viele spektakuläre Schauplatzwechsel, mögen die Kulissen noch so unecht aussehen. Die klaustrophobische Anspannung des Originals ersetzen rollenwidrige Stunts und eine der Vorlage fremde Theatralik.
Solche Kapriolen zusammen mit einem aufgepfropften Prolog dienen einzig als Bühne für Poirots und damit dem Hauptdarsteller-Regisseur. Er chargiert noch grotesker als Johnny Depp in der Rolle des Mordopfers Mr. Ratchett. Haben dessen Assistent MacQueen (Josh Gad), Diener Masterman (Derek Jacobi), Mrs. Hubbard (Michelle Pfeiffer), Prinzessin Dragomiroff (Judi Dench), Nanny Mary Debenham (Daisy Ridley) und Konsorten ihn vielleicht bloß abgemurkst, damit er den Film nicht vollends auf das Niveau mittelprächtiger TV-Unterhaltung herunterzieht? Die abschließende Andeutung, Branagh könnte Christies Werk ähnlich malträtieren wie das Shakespeares weckt jedenfalls wenig Vorfreude nach dem angesichts des Potenzials enttäuschenden Hochglanzkrimi. Darin sind höchstens die Zugabteile erstklassig.
Regie: Kenneth Branagh, Drehbuch: Michael Green, basierend auf dem Roman von Agatha Christie, Darsteller: Kenneth Branagh, Daisy Ridley, Michelle Pfeiffer, Judi Dench, Josh Gad, Derek Jacobi, Penélope Cruz, Johnny Depp, Filmlänge: 114 Minuten, Kinostart: 10.11.2017, www.mordimorientexpress-derfilm.at