Joaquim
Die ungeschönte Mischung aus Exploration und Dekonstruktion einer Nationalikone schließt mit einem Bild so brutal wie das erste. Dennoch könnten die beiden künstlerischen Visionen derselben historischen Gestalt kaum unterschiedlicher sein.
Die eine ist ein nach den rigiden Regeln des Akademismus gefertigtes Gemälde des brasilianischen Malers Pedro Américo, die andere eine Szene aus Marcelo Gomes brutalem Biopic. Im Mittelpunkt steht Joaquim José da Silva Xavier (Júlio Machado), genannte Tiradentes. In Brasilien ist der Leutnant, der sich im 18. Jahrhundert gegen die portugiesischen Besatzer auflehnte, ein Freiheitsheld, dem ein Feiertag gewidmet ist. Von der posthumen Verehrung berichtet der Titelcharakter in einem sardonischen Prolog.
Sein abgeschlagener Kopf sitzt zur Mahnung aufgepfropft. Ein Anblick, so hässlich und grausam, wie der Tod unvermeidlich ist. Welche konkreten Taten die Überreste des Protagonisten dorthin brachten, zeigt der fiktionalisierte Werdegang nicht. Der brasilianische Regisseur konzentriert sich auf die psychologische Entwicklung eines frustrierten Gefolgsmann zum glühenden Widerständler. Heroisches Gedankengut ist während des mentalen Prozesses bestenfalls ein Abfallprodukt. Diebe würden befördert, Arme bestraft, knurrt der Titelcharakter. Einen Weisen braucht es zu dieser Erkenntnis nicht. Der Hunger der portugiesischen Kolonialherrscher nach Gold und Edelsteinen ist unersättlich. Darin gleichen sich Untertanen und Herren. Den Schmugglerjäger treibt zudem primitive Lust nach einer Blackie genannten Sklavin (Isabél Zuaa).
Ihre stolze Würde ist das Gegenbild zum sklavischen Opportunismus des Protagonisten, der wie alle Unterdrücker nach Rang, Reichtum und Ruhm giert. In diesem Land gebe es drei Sorten Menschen: Banditen, Korrupte und Faulpelze. Er sei alles drei, sagt er in einem Moment der Selbsteinsicht. Auf eine moralische Läuterung wartet ein an Heldenmärchen gewohntes Publikum vergebens. Rebellion ist in dem grimmigen Abgesang auf ideologische Verklärung bloß ein Ventil für über Jahrzehnte aufgestaute Wut, angefacht von einem Kneipendichter (Eduardo Moreira) und Protestbüchern. Von seinen naiven Fantasien einer ihres Namens würdigen Neuen Welt bleibt nur das resignierte Requiem: „Gold ruiniert alles. Erst das Land, dann die Menschen.“
Regie und Drehbuch: Marcelo Gomes, Darsteller: Júlio Machado, Rômulo Braga, Isabél Zuaa, Welket Bungué, Nuno Lopes, Filmlänge: 97 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2017