Cosmopolis-©-2012-Einhorn-Film

Cosmopolis

9
Psycho-Drama

David Cronenberg, der ja schon mit „Crash“ und „Naked Lunch“ sein Händchen für schwierige Romanadaptionen bewiesen hat, stellt sich mit Don DeLillos „Cosmopolis“ erneut der Herausforderung…

Der junge und unverschämt reiche Eric Packer (Robert Pattinson) möchte nichts weiter, als zu seinem Friseur aus Kindertagen fahren, um sich die Haare schneiden zu lassen. Durch zahlreiche äußere und innere Widrigkeiten, die sich ihm in den Weg stellen, entpuppt sich dieser scheinbar einfache Wunsch bald als psychische, physische und emotionale Selbstzerstörung. Am Ende lauert nicht der Wahnsinn, der Tod oder gar ein kathartischer Neuanfang, nein, die Antworten sind nicht so einfach und das Ende ist weitaus vielschichtiger und grausamer.

Wo fängt man am besten an, bei diesem eigenwilligen Roadmovie Kontakt zu knüpfen. Don DeLillos Roman lebt eindeutig von seiner wuchtigen, aber dennoch direkten und hoch philosophischen Sprache. Gerade die Dialoge sind durchwoben von existenziellen und zu gleichen Teilen absurden Gesprächen, Anmerkungen und schwarzem Humor. Cronenberg scheut zum Glück nicht davor zurück, diese brillanten Dialoge beinahe eins zu eins auf die Leinwand zu bringen. Denn gerade in den Gesprächen spiegelt sich die sukzessive Abkapselung von der Gesellschaft und des eigenen Lebens seiner Hauptfigur wider. Gleichzeitig etabliert sich dadurch auch der ständig wachsende Realitätsverlust, der durch die dazugehörigen Bilder und Situationen noch verstärkt und durch die beinahe rhythmischen, melodischen Gespräche untermauert wird.

In erster Linie ist „Cosmopolis“ ein amüsanter, ja, sogar richtig witziger Film. Cronenberg macht von Anfang an klar, dass dieser Streifen nicht als bierernste Gesellschafts- und Wirtschaftskritik zu verstehen ist, sondern viel mehr als brutal böse, schwarzhumorige Satire auf alle Werte. Es gibt hier kein richtiges und falsches System, kein Gut und Böse, es bekommt jeder sein Fett weg. Unterm Strich ist keines das Richtige und das Falsche. Hohe Anerkennung zudem an den Regisseur und Drehbuchautor Cronenberg, der den Grundtenor des Films bis zur letzten, verblüffenden Sekunde durchhält und niemanden verschont. Nicht falsch verstehen, „Cosmopolis“ lädt nicht zu lautstark ausbrechendem Gelächter ein (wobei es schon die ein oder andere Szene gibt, die durch seine derart starke Übertreibung wirklich köstlich ist), viel eher bleibt es einem im Hals stecken, weil das Gezeigte zwar surreal und absurd ist, aber gleichzeitig doch so echt und ehrlich wirkt.

Es überrascht dadurch auch sehr, dass der Streifen nicht weitaus kontroverser aufgenommen wurde, da das Werk sehr stark mit Klischees und vorgefertigten Rollenbildern spielt und diese mehr als nur einmal vollkommen politisch unkorrekt zeigt. Die einzige Schwäche, die man „Cosmopolis“ vielleicht zugestehen könnte ist, dass er beinahe zu wahr und schockierend ist, um tatsächlich zu schockieren. Will heißen, dass die Zuschauer gar nicht anders können als lachen oder das Ganze als ernste Kritik zu verstehen (möglich ist durchaus beides), um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, wie ehrlich dieser Film doch tatsächlich ist. Es ist einfacher die Augen zu verschließen, als den Schock in sich aufzunehmen.

Keine leichte Kost. „Cosmopolis“ macht sich nicht die Mühe Empathie für seine Hauptfigur zu empfinden oder seine Zeit mit der Etablierung irgendwelcher Charaktere oder Handlungsstränge zu verschwenden. Das alles spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist die Zerstörung. Nicht nur der einen oder anderen Seite, sondern aller Seiten, eines jeden. In jedem Kader ist der Film einzig und allein damit bemüht, alles was wir kennen und anstreben zu dekonstruieren, nicht um etwas Neues aufzubauen, sondern um nichts mehr aufzubauen. Das Prinzip der konstruktiven Zerstörung ist diesem Werk praktisch einverleibt (in gleichem Maße wie der Buchvorlage) und verleiht dem Ganzen einen herrlich nihilistischen Grundton. 

Daher will „Cosmopolis“ nach erstmaligem Sehen verdaut werden. Der Film bleibt einem im Magen liegen und lässt einem nicht so schnell wieder los. Und das ist gut so, denn man sollte so einen Streifen nicht nur einmal ansehen, man muss ihn fast mehrmals betrachten. Was nicht zuletzt an der grandiosen Regie Cronenbergs liegt. Der das unmögliche möglich macht und eine Vorlage, die fast gänzlich in einem Auto spielt und vorwiegend von Dialog und Sprache lebt, nicht wie eine öde, langatmige Adaption wirken zu lassen, sondern den Film mit einer visuellen Dynamik anreichert, die es einem glatt vergessen lässt, dass beinahe zwei Stunden vergangen sind. Es braucht keine Verfolgungsjagden, Schießerein und Explosionen, um Spannung und Bewegung zu erzeugen, es bedarf einzig und allein einer guten Geschichte und einem Regisseur, der es versteht diese filmisch zu erzählen. 

Ein großes Lob muss man aber auch Robert Pattinson aussprechen. Als Teenie-Schwarm und Vampir-Beau verschrien, zeigt er hier, was er mit einem guten Drehbuch und unter der Leitung eines sicheren Regisseurs im Stande ist zu leisten. Hin und wieder fällt er zwar ein wenig aus der Rolle bzw. kommt seine typische Pattinson Mimik und Gestik zum Vorschein, doch dies ist schnell vergessen und leicht übersehen, angesichts seiner Darstellung. Nicht nur gekonnt gegen sein Image anspielend, lässt er hier auch hoffen, dass er nun mehr Wert auf Rollenauswahl legt und in Zukunft öfter sein Talent zeigen wird. Natürlich ist auch die restliche Besetzung grandios und allein, wenn man sich die Namen ansieht, weiß man, dass hier großartige Darsteller am Werk sind. Da „Cosmopolis“ aber nun mal eine Charakterstudie ist, wenngleich eine sehr eigenwillige und originelle, steht auch Pattinsons Performance im Vordergrund.

Im Endeffekt ist Cronenbergs neues Werk einer jener Filme, bei dem man nicht drum herum kommt, sich seine eigene Meinung zu bilden. Fakt ist, jeder, der sich ernsthaft für Filme interessiert und keine Lust auf Hollywood-Blockbuster hat, darf „Cosmopolis“ nicht verpassen. Für das Mainstream Publikum ist dieser Streifen jedoch absolut nichts und all jene sollten wirklich zu ihrem eigenen Wohl einen großen Bogen darum machen.

Regie & Drehbuch: David Cronenberg, Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel, Kevin Durand, Samantha Morton, Paul Giamatti, Laufzeit: 108 Minuten, Kinostart: 05.07.2012