Der Gott des Gemetzels
Der Schauplatz: Eine Wohnung in Brooklyn. Die Gegner: zwei Frauen, zwei Männer. Ihre Waffen: Worte. Roman Polanski führt uns in der Adaption von Yasmina Rezas Theaterstück einen Bürgerkrieg im Kleinen vor…
Die Handlung ist schnell erzählt: Ein Junge schlägt im Park einem anderen mit einem Ast zwei Zähne aus. Die Täter-Eltern statten den Opfer-Eltern einen Besuch ab, um gemeinsam einen Bericht für die Versicherung zu schreiben. Einmal im Appartement, gelingt es ihnen, trotz mehrmaliger Anläufe, nicht mehr zu gehen. Das Geschehen verselbständigt sich. Bis klar wird, es ist noch lange nicht alles gesagt. Die Situation und die Gespräche eskalieren. Und es geht schon längst nicht mehr um die Kinder.
Umso mehr spielt sich auf mentaler Ebene ab. Dort wütet der „Gott des Gemetzels“. Während die Elternpaare anfangs noch als zwei friedliche, in sich geschlossene Fronten auftreten, lösen sich die vier Menschen im Verlauf immer mehr in ihre Einzelschicksale auf. Penelope, die Mutter des nunmehr zahnlosen Jungen (Jodie Foster), ist Kunsthistorikerin, schreibt an einem Buch über die Armut in Darfur und strotzt nur so vor Political Correctness. Doch ihr Auftreten den anderen Eltern und ihr Verhalten ihrem Mann gegenüber ist nur eine Maske, die mehr und mehr von ihrem Gesicht blättert. Ihr Mann Michael (John C. Reilly) hingegen steht auf der bodenständigen Seite des Lebens. Er verkauft Sanitäranlagen und interessiert sich für nicht viel darüber hinaus, schon gar nicht für Konfliktlösungen in verbaler Form.
Die Eltern des Prügelknaben sind Nancy (Kate Winslet), eine Investment-Bankerin, und Alan (Christoph Waltz), ein Anwalt, der großen Firmen beim ‚Saubermachen’ hilft. Die beiden interessieren sich nicht mehr füreinander als notwendig, für ihren Sohn wenig und für die anderen Eltern schon gar nicht. Nancy führt das Leben einer akkuraten Dame und Ehefrau, die unter der Oberfläche frustriert und gelangweilt ist. Alan verbringt den Großteil seiner Zeit mit Telefonieren am Mobiltelefon. Das ist sein Leben, alles andere ist lästig und unnötig.
Im Grunde haben sich die vier Menschen nichts zu sagen. Und doch verstricken sie sich immer mehr in das Gesagte, als wären sie Teilnehmer einer Familien-Aufstellung im Rahmen einer Psychotherapie. Yasmina Reza (die auch das Drehbuch geschrieben hat) liefert die Stichworte. Roman Polanski stellt auf und lässt dem Kammerspiel seinen Lauf. Konventionen tragen nicht mehr, die gutbürgerliche Fassade bröckelt. Ganz Klischee, wechseln die Fronten zwischen Eltern gegen Eltern, Ehepaar gegen Ehepaar und schließlich Frauen gegen Männer. Manchmal tritt die Kamera den Schauspielern so nahe, dass sie nicht nur von der Situation, sondern ebenso von der Apparatur bedrängt wirken. Der Blick fällt zusammen mit dem des Publikums, das in seiner voyeuristischen Rolle einbezogen wird.
Ja, das kommt in den besten Familien vor. Und es ist äußerst unterhaltsam anzusehen. Das Schauspiel ist sehr gut, wenn auch Waltz und Winslet irritieren. Doch Dialoge und Dynamik funktionieren. Die Inszenierung ist beinahe makellos. Und gelacht kann auch werden. Das Theaterstück war darüber hinaus gesellschaftskritisch. Der Film ist es aber nicht, eben weil er ein Film ist. Im Theater sieht sich die bürgerliche Klientel mit der Dekonstruktion ihrer kultivierten Aufmachung konfrontiert. Schade, dass der Film das nicht auch leisten kann.
Regie: Roman Polanski, Drehbuch: Roman Polanski, Yasmina Rezna, Darsteller: Jodie Foster, Christoph Waltz, Kate Winslet, John C. Reilly, Laufzeit: 80 Minuten, Kinostart: 25.11.2011