Melancholia-©-2011-Concorde

Melancholia

9
Melodram

Es gibt wohl nur einen gegenwärtigen Filmemacher, der die Abenteuerlust und Verwegenheit besitzt, Hochzeitskitsch mit Weltuntergangszenario kollidieren zu lassen. Lars von Trier ist einer der heutzutage wahrlich selten gewordenen großen Unberechenbaren des Kinos – Und dafür muss man ihm wahrlich dankbar sein…

Seine Filme überraschen und polarisieren jedes Mal wieder aufs Neue, sie irritieren, verwundern, betäuben, sie machen sprachlos. Man kann sie wohl nur hassen oder lieben – so auch sein neuestes Wahnsinnswerk, das dem dänischen Vorzeige-Melancholiker abgrundtief aus der Seele zu sprechen scheint.

Am Anfang steht das Ende: Ein Pferd, das unter Polarlichtern im Erdboden versinkt. Eine Frau, aus deren Fingerspitzen magnetische Blitze entweichen. Ein kleiner Planet, der von einem sehr viel Größeren verschlungen wird. Unterlegt mit der gewaltigen Ouvertüre aus Wagners „Tristan und Isolde“ sieht man eine Reihe von Zeitlupen-Sequenzen, welche die wie zu pathetischen, äußerst surrealen Gemälden erstarrte Filmaufnahmen das Grundthema der nächsten 130 Minuten einführen, düstere Vorboten durchtränkt von verstörender Schönheit und grenzenloser Traurigkeit, von Sehnsucht, Melancholie, dem Ende allen Lebens. Dann folgt ein radikaler Bruch und Lars von Trier macht uns in zwei filmischen Abschnitten mit den beiden ungleichen Schwestern Claire und Justine vertraut.

Teil 1 ist der jungen Justine gewidmet und präsentiert eine Hochzeitsfeier, wie sie klassischer und glanzvoller nicht sein könnte. Doch wäre es wohl kaum ein Lars von Trier Film, wenn der penibel durchorganisierte Frohsinn der Feierlichkeiten nicht an so manchen Stellen wie ein eitriges Geschwür aufplatzen und eine befremdliche, unangenehme Atmosphäre offenlegen würde. Dass die Hochzeit im wahrsten Sinne des Wortes unter keinem guten Stern steht, verraten nicht nur die in einer Kurve steckenbleibende Limousine des Brautpaares und die verbitterten Bissigkeiten der Mutter, sondern vor allem die Braut selbst – gespielt von einer überraschend grandiosen Kirsten Dunst, die der Unerträglichkeit dieses für sie sinnentleerten Rituales nicht länger standhalten kann und zunehmend in einer sonderbaren Melancholie zu versinken droht.

Teil 2 ist Justines sehr viel gefestigterer Schwester Claire gewidmet – ebenso und wie immer umwerfend gespielt von Charlotte Gainsbourg, die sich jedoch im Angesicht des langsam auf die Erde zusteuernden Planeten Melancholia mit einer geradezu erstickenden Angst konfrontiert sieht. Und während die nach Wahrhaftigkeit suchende Justine den zusehends größer werdenden magisch blauen Himmelskörper mit ganzem Leibe herbeisehnt, bangt Claire um das menschliche Leben auf Erden, dem sie im Gegensatz zu ihrer Schwester so verbunden scheint. Erst im Moment des endgültigen Endes finden die beiden zusammen, um jeder für sich allein seinem Schicksal ins Auge zu blicken.

Anders als in bekannten Weltuntergangs-Blockbustern inszeniert Lars von Trier sein Ende der Menschheit auf kleinstem privatem Raum, erzählt von der Auswirkung der bevorstehenden Apokalypse auf zwei einander ebenso vertraut wie fremd gestimmte Schwestern fernab der restlichen Zivilisation. Dabei gelingt es dem Film, Romantik, Pathos und nahezu erschlagende Mengen an Wagner-Musik mit einer nüchternen Form von Realismus zu verschmelzen, hyperästhetische Aufnahmen auf verwackelte Handkamera treffen zu lassen und nebenbei den beiden Protagonistinnen so tief in die Seele zu blicken, dass einen das, was man dort antrifft, zu überwältigen droht.

Nie war der Weltuntergang so wunderschön, so hypnotisch, so kraftvoll, so erschreckend spürbar und endgültig wie in diesem Film. Melancholia schlägt ein mit einer im Kino selten anzutreffenden Wucht, deren Nachwirkung man lange bei sich tragen wird.

Regie & Drehbuch: Lars von Trier, Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Alexander & Stellan Skarsgård, Udo Kier, Laufzeit: 130 Minuten, Kinostart: 27. 10. 2011, gezeigt bei der Viennale 2011




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