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Die absurde Ironie, dass der Slasher als moralisch zweifelhafte Filmform abgeurteilt wird, aber selbst seine Figuren nach typischerweise nach rigoros reaktionären Moralmaßstäben (hin)richtet, exponiert Ti Wests hintersinniger Mix X aus Vintage Porno, Horror-Hommage und schwarzer Komödie weit entschlossener als seine Figuren.
Ihr Sexfilm-Dreh auf dem Grundstück eines greisen Ehepaares konfrontiert nicht nur die brave Tontechnikerin Lorraine (Jenna Ortega) und ihren vermeintlich toleranten Regisseur-Freund RJ (Owen Campbell) mit unbefriedigten Trieben und irrationaler Eifersucht, sondern ihre bizarren Gastgeber. Beider voyeuristischer Blick auf die sexuellen Aktivitäten versinnbildlicht die von Jugendneid, monströsem Moralismus und frustrierter Begierde geprägte Perspektive pervertierter Provinz-Prüderie.
Letzte ist die Ursache der sittenkritischen Blutorgie, deren Drastik die nostalgischen Sepia-Sexszenen relativiert und kontrastiert. Die Korrelation von Horror und Porno unterstreichen die mitunter allzu plakativen Dialoge: Porno verstört das Publikum, indem er es befriedigt, Horror befriedigt das Publikum, indem er verstört. Pathologisch ist nicht Lust, sondern ihre aggressive Unterdrückung.
Diese visualisieren die Charakter-Poster, auf denen der Titelbuchstabe die Figuren praktisch durchstreicht: Synonym für die standardmäßige Eliminierung unkeuscher Charaktere im Genrekino, die (Selbst)Zensur freizügiger Motive und durch derartige Moralpropaganda legitimierte gesellschaftliche Gewalt. Die Hintergrund-Hasstiraden eines fanatischen Fernsehpfarrers unterstreichen brutalisierende Bigotterie, der sich die sexy subversive Story entgegenstellt.
Regie und Drehbuch: Ti West, Darsteller: Mia Goth, Jenna Ortega, Brittany Snow, Kid Cudi, Martin Henderson, Owen Campbell, Stephen Ure, Filmlänge: 105 Minuten, Kinostart: 19.05.2022