Reconstructing Utoya
Falls Carl Javers filmisches Rezitativ einer der von dem Terroranschlag Betroffenen helfen sollte, das Trauma zu verarbeiten, wäre das zumindest eine positive Facette eines Films, dessen visuelle und dramaturgische Eindimensionalität ihn bestenfalls für fachinteressierte Therapeuten und Trauma-Coaches sehenswert macht.
Für die gibt es dann quasi als analytisches Bonusmaterial die Frage zu beantworten, warum ein Filmemacher ohne solides inszenatorisches Konzept die Begegnung vier Überlebender mit einer Gruppe Jugendlicher überhaupt abfilmt. Die Antwortsuche darauf hilft womöglich bei der nach dem Warum bezüglich des Massakers: Manche Menschen tun die unwahrscheinlichsten Dinge, wenn es einer Form von Bekanntheit dient.
Diese fragwürdige Überhöhung eines durch zwei dicht aufeinanderfolgende Spielfilme bereits übervermarkteten Verbrechens ist nur einer der unangenehmen Subtexte des theaterhaften Spektakels. Dieses hält gegenüber den fiktionalen Produktionen mit Rakel, Mohammed, Jenny und Torje vier Trümpfe in der Hand, die es kalkuliert zu maximaler Gewinnmarge ausspielt. Die anwesenden Jugendlichen mit ihrem authentischen Grauen und Mitgefühl fungieren als Identifikationsfiguren des Publikums, die erhoffte Reaktionen vorleben und als affektiver Katalysator für dessen Anteilnahme dienen. Dazu das Titelschlagwort „Utoya“, das der spekulativen Vorführung mehr Aufmerksamkeit garantiert als es jede Werbekampagne könnte. Alles, was für Javer zu tun bleibt, ist: Kamera draufhalten.
Regie: Carl Javér, Drehbuch: Carl Javér, Fredrik Lange, Mit: Jenny Andersen, Rakel Mortensdatter Birkeli, Torje Hanssen, Mohammed Saleh, Filmlänge: 98 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2019