Das finstere Tal
Der gewagte Alpenwestern entführt das Publikum in die verschneiten Bergregionen des Tiroler Oberlandes und fügt dem Genre eine unverbrauchte Facette hinzu.
Am Ende des 19. Jahrhunderts taucht ein mysteriöser Reiter namens Greider (Sam Riley) in einem verschlafenen Bergdorf auf, um sich dort vor dem nahenden Winter einzuquartieren. Die Söhne des ansässigen Patriarchen Brenner (Hans-Michael Rehberg) trauen dem Fremden zuerst nicht so recht über den Weg, doch ein Sack voller Münzen und eine wundersame Vorrichtung aus Amerika bringen selbst den kernigsten Mann um seine Prinzipien. Kurze Zeit darauf bricht schließlich die eisige Finsternis über das Tal herein, die neben der vorherrschenden Trostlosigkeit ungewöhnliche Unfälle unter den Brenner-Söhnen nach sich zieht und noch dunklere Geheimnisse an die Oberfläche zerrt.
Die Geschichte wird in einem recht gemächlichen Tempo erzählt, was dazu führt, dass sich der Film vor allem zu Beginn viel Zeit für seine Exposition nimmt. Zusätzlich kommen alle Charaktere relativ wortkarg daher. Dies kann einem auf der einen Seite den Zugang zu diesem Werk erschweren, wirkt aber auf der anderen Seite in Anbetracht der Situation total authentisch. Kameramann Thomas Kiennast fängt die atemberaubende Kulisse Südtirols mit kühlen beziehungsweise entsättigten Bildern ein und kreiert damit eine beklemmende Grundstimmung, die über die gesamte Laufzeit aufrecht bleibt. Erwähnenswert ist außerdem, dass die Dialoge der Dorfgemeinschaft komplett im regionalen Dialekt ablaufen und die ohnehin gelungene Atmosphäre des Werks nochmals bereichern. Der träge Spannungsaufbau ist des Weiteren von ein paar wenigen Gewaltspitzen durchzogen, die zwar an einer höheren Altersfreigabe kratzen, sich allerdings stilsicher in die malerische Szenerie einbetten. Lediglich das Mysterium um Greider breitet sich etwas zu rasch vor dem aufmerksamen Beobachter aus und hätte womöglich durch eine Umstrukturierung der Eröffnungssequenz eine größere Wirkung erzielen können.
Sam Riley liefert mit seiner Darstellung des schweigsamen Fremden eine überzeugende Leistung ab. Unterstrichen wird dessen Hingabe noch durch die Tatsache, dass er seine Dialogzeilen fast ausnahmslos in deutscher Sprache wiedergibt und dies auch mit Bravur meistert. Tobias Moretti geht in seiner Rolle als grimmiger Hans Brenner ebenfalls sichtbar auf und bringt die tiefen Abgründe seiner Figur vortrefflich zum Ausdruck. Selbst die Nebenrollen wurden mit passenden Darstellern besetzt. So geben sich aufstrebende Jungschauspieler wie Paula Beer oder Thomas Schubert keine Blöße und wissen als Spielball der Brenner-Sippe zu gefallen. Die Ensembleleistung wird schlussendlich durch kurze, aber prägnante Auftritte von Erwin Steinhauer und Hans-Michael Rehberg abgerundet.
Der fabelhafte Score von Matthias Weber unterstützt die Geschichte auf stimmige Weise und verstärkt das triste Gefühl der Abgeschiedenheit noch weiter. Ergänzend dazu fungieren zwei Songs, die der musikalischen Untermalung aufgrund ihres deutlichen Stilbruches eine ganz besondere Note verleihen.
Anhand des Zusammenspiels von perfekter Kameraarbeit, dem passenden Soundtrack und einer überzeugenden Darstellerriege erschafft Andreas Prochaska in seinem ungewöhnlichen Genrebeitrag eine enorm dichte Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Paula Beers Luzi bringt es diesbezüglich auf dem Punkt: Es gibt Dinge, die sich nie mehr vergessen lassen und dieses Juwel des deutschsprachigen Films gehört definitiv dazu.
Regie: Andreas Prochaska, Drehbuch: Martin Ambrosch, Andreas Prochaska, basierend auf dem Roman von Thomas Willmann, Darsteller: Sam Riley, Tobias Moretti, Paula Beer, Thomas Schubert, Clemens Schick, Filmlänge: 115 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 04.09.2014