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Miitopia

5
RPG

Vor drei Jahren hat Nintendo seine putzigen Avatar-Figürchen – Miis genannt – mit dem ungewöhnlichen 3DS-Titel Tomodachi Life zum Leben erweckt. Irgendwo zwischen Spiel und Spielzeug hat sich die schrullige Lebenssimulation eine Nische geschaffen und die Miis zum ersten Mal mit eigenen Persönlichkeiten, Wünschen, Ängsten und Beziehungen versehen.

Das funktioniert deshalb, weil Miis genau die richtige Mischung aus charmant und abstrakt sind; man kann im Prinzip anhand ein paar einfacher Merkmale jeden beliebigen Menschen rasch nachbauen – sei es man selbst, seine Oma oder Ozzy Osbourne – am Ende hat das Kerlchen nicht nur Wiedererkennungswert, sondern sogar so etwas wie Persönlichkeit. Um das so gut hinzubekommen, muss man halt schon Nintendo sein, wie zahlreiche gescheiterte Kopien des Konzepts beweisen (siehe die totäugigen Xbox-„Avatars“ von Microsoft).

Man könnte mit den Miis so viel mehr machen, und Nintendo scheint sich das langsam auch zu denken – denn nun haben die Figürchen mit Miitopia ihr eigenes, waschechtes RPG bekommen, in dem man sie durch ein klassisches Fantasy-Abenteuer bugsieren kann. Okay, „waschechtes RPG“ muss relativiert werden: Miitopia ist klar ein absoluter Einsteiger-Titel, extrem simpel und geradlinig.

Wer entsetzt war, dass man in Final Fantasy XIII das ganze Spiel lang nur einen linearen  Korridor entlanggelaufen ist, dem wird Miitopia den Glauben an die Menschheit zerstören: Hier macht man nicht einmal mehr das Laufen selbst. Die Miis bewegen sich von allein, in eine vorgegebene Richtung. Man kann einen Knopf gedrückt halten, dann laufen sie etwas schneller. An vorgegebenen Stellen hat man Begegnungen mit Monstern. Manchmal kommt man an eine Abzweigung, an der es abgesehen von Kleinigkeiten (wie unterschiedlichen Items in Schatztruhen) völlig egal ist, welchen Weg man wählt – vor allem, weil man Augenblicke später sowieso den anderen Weg ausprobieren kann.

Der Spielablauf ist streckenweise dermaßen geistlos und linear, dass es doch tatsächlich einen Vorspul-Button gibt – nicht für Zwischensequenzen, sondern für den zentralen Gameplay-Loop. Dieser Loop sieht so aus: Man navigiert sein Mii-Team über eine Weltkarte mit vorgegebene Pfaden, gerät in rundenbasierte Kämpfe mit Monstern und rastet regelmäßig in Gasthäusern, in denen die Miis schlafen, essen, einkaufen und einander näherkommen kommen.

Am meisten Spaß macht Miitopia in den Kämpfen; diese leben nämlich von den Beziehungen zwischen den Partymitgliedern, wie man es z.B. aus den Persona-Spielen kennt, nur ist das soziale Element hier noch zentraler. Manchmal sind die Kämpfe richtige kleine Dramen; Miis arbeiten zusammen, streiten sich, feuern sich an, opfern sich füreinander oder rächen gefallene Freunde. In den besten Momenten sieht man sich mit Fragen konfrontiert wie: Soll ich meinen Partner als menschliche Kanonenkugel verwenden, auch wenn er mir das übel nehmen wird? Leider sind solche interessanten Entscheidungen viel zu selten – ein Großteil des Spiels läuft mehr oder weniger auf Auto-Pilot.

Das ist schade, aber zumindest teilweise mit dem Argument zu erklären, dass Miitopia in erster Linie ein Spiel zum Beobachten ist, wie auch Tomodachi Life: Eine kleine Seifenoper, in der man selbst die Rollen verteilt und sich über die witzigen Momente amüsiert, die durch die sozialen Dynamiken entstehen. Während Tomodachi Life aber mit seinem urbanen Reality-TV-Format erfrischend war, landet Miitopia wieder bei den denkbar ältesten und ödesten Videospiel-Tropen: bei Königen und Prinzessinnen und Feen, bei Schwertern und Flüchen, tapferen Rittern und mächtigen Zauberern, bei der Gras-, der Wüsten- und der Vulkan-Welt.

Für ein rund 50-stündiges Rollenspiel bietet Miitopia zu wenig Abwechslung und Substanz. Die ganze Zeit wartet man darauf, dass sich das Spiel endlich öffnet und “richtig” beginnt; und das passiert auch, aber erst nach ungefähr 30 Stunden – viel zu spät.

Ja, die häppchenweise portionierten Gameplay-Loops machen schnell süchtig. Und ja, die Interaktionen zwischen den Miis sind sehr unterhaltsam. Es ist wunderbar, dass ich mit meiner Frau, Snoop Dogg und dem Hound aus Game of Thrones ins Abenteuer ziehen und Screenshots der verrückten Situationen, die daraus entstehen, auf Facebook teilen kann. Es wäre nur schön, wenn Miitopia am Ende des Tages mehr wäre als eine amüsante, halbautomatische Skinner-Box für die nächste Generation von Pachinko-Zombies.

Plattform: 3DS (Version getestet), Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 7, Release: 28.7.2017, Link zur Homepage




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