Der Moment der Wahrheit
In seinem Pressedrama gelingt es Regieerstling James Vanderbilt eindrucksvoll, aus packenden Tatsachen einen drögen Film zu machen und aus charismatischen Persönlichkeiten Abziehbilder.
Es ist sicher nicht die Schuld der exzellenten Darsteller, allen voran die oscarverdächtige Cate Blanchett als CBS-Reporterin Mary Mapes, dass die explosive Story auf der Leinwand zum Rohrkrepierer wird. Der lektorierende Vortragston, die ambivalente Charakterisierung insbesondere der zentralen Figur Mapes sowie die politische Ambiguität des Plots wirken fast wie ein kalkulierter Fehlstart. Das lässt fast so viel Raum für Spekulationen wie 2004 die Negierung eines enthüllenden Nachrichten-Exposés. Die Reportage über die familiären Beziehungen, dank denen George W. Bush sich um den Wehrdienst in Vietnam drücken konnte, kostete im Endeffekt die preisgekrönte Journalistin Mapes und Newsikone Dan Rather (Robert Redford) ihre Jobs. Am 8. September 2004 lief der unter Hochdruck recherchierte Beitrag des CBS-Formats „60 Minutes“. Die Bestreitung der Fakten in rechtskonservativen Onlineforen ließ CBS den Kopf einziehen und Mapes feuern. Die Ächtung des kritischen Journalismus hatte entscheidenden Einfluss auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen.
Knapp 12 Jahre und ein Wechsel im Oval Office haben das Machtgeflecht augenscheinlich nicht geschwächt. Ebenso frustrierend wie die schulmeisterliche Inszenierung, die das Offensichtliche zusätzlich doppelt und dreifach erklärt, ist die politische Leisetreterei. Mapes, die die Folterverbrechen in Abu Grahib aufdeckte, wird oberflächlich als engagierte Reporterin dargestellt. Doch hinterrücks sägt Vanderbilt an dem journalistischen Thron, auf den er seine Protagonistin anfangs platziert. Ein beträchtlicher Teil der 125 langen Minuten zeigt Mapes privat als gestresste Mutter, Tabletten- und Alkohol inhalierenden Workaholic und Opfer eines gewalttätigen Vaters. Zudem betont Vanderbilt unermüdlich, dass sie Feministin und Liberale sei – was nicht als Kompliment gemeint ist. Unter dem Deckmantel verständnisvollen Mitgefühls zeichnet der Film sie als überfordert, hypersensibel und voreingenommen, kurz: inkompetent. Indirekt bestätigt die verzerrte Darstellung so einige der Vorurteile, gegen die Frauen der Männerdomäne Journalismus anzukämpfen haben. Das Privatleben von Rather wird wohlgemerkt nie thematisiert. Er ist ganz der integre Berufsveteran und der väterliche Ratgeber, den Mapes dringend braucht.
Ständig scheint sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs, wohingegen Rather stoische Ruhe ausstrahlt. Ihre männlichen Teamkollegen Colonel Roger Charles (Dennis Quaid) und der junge Mike Smith (Topher Grace) nehmen den Shitstorm nach der Bush-kritischen Sendung mit Galgenhumor. Die Frauen hingegen sind ständig den Tränen nahe und indirekt schuld am Debakel unantastbarer Saubermänner wie Rather. Er verzweifelt lediglich in einer Szene, nämlich über die Staubtrockenheit eines analytischen Nachrichtensegments: „Das ist ja todlangweilig. Was soll ich nur machen?“ Vanderbilt hat die Antwort sicher nicht. Sonst wäre sein Script nicht nur lakonischer, sondern vor allem mutiger. Doch wenn Protagonisten das korrupte Machtgeflecht hinter der Attacke anprangern (Viacom/CBS mehrheitlicher Teilhaber Sumner Redstone wollte Bushs Wiederwahl), werden sie im nächsten Moment als paranoide Verschwörungstheoretiker abgetan. Das verhaltene Drama will die Geschichte von Menschen erzählen, die gegen alle Widerstände nach der Wahrheit suchen, doch scheut selbst vor der Wahrheit zurück.
In einer bezeichnenden Szene betrauert Redford, der 1976 in Die Unbestechlichen Bob Woodward verkörperte, das Ende dieser glorreichen Ära. Damals hätte es noch unerschrockenen Journalismus gegeben. Wohl wahr, und es gab unerschrockene Filme darüber.
Regie und Drehbuch: James Vanderbilt, Darsteller: Cate Blanchett, Robert Redford, Topher Grace, Dennis Quaid, Elisabeth Moss, Bruce Greenwood, Filmlänge: 125 Minuten, Kinostart: 03.06.2016