Anomalisa
Animationsfilme müssen nicht zwangsläufig Kinderfilme sein. Charlie Kaufman beweist mit Anomalisa, dass auch die vermeintliche Bastion kinderfreundlicher Unterhaltung für durchaus komplexe und vielschichtige Themen herhalten kann.
Michael Stone (David Thewlis) ist erfolgreicher Autor eines Selbsthilfe- und Motivationsbuches und gerade in Cincinnati um einen Vortrag darüber zu halten. Er hat eine Frau (Tom Noonan) und ein Kind (Tom Noonan), die in L.A. auf ihn warten, und offensichtlich auch keine finanziellen Probleme. Trotzdem plagt ihn schon lange das Gefühl, dass etwas mit seinem Leben nicht stimmt. Er meldet sich bei einer Ex-Freundin (Tom Noonan), in der Hoffnung wieder Kontakt zu ihr aufzubauen, was jedoch scheitert. Erst als er Lisa (Jennifer Jason Leigh) kennen lernt, ihre Stimme klingt wie ein Weckruf für ihn und ihr Aussehen ist so erfrischend anders, dass es nicht nur ihm klar wird, sondern auch dem Publikum. Doch auch Lisa kann ihm auf Dauer nicht aus seiner Misere helfen.
Die Darstellung der Geschichte durch Sop-Motion-Animation, also Puppen, mag am Anfang befremdlich wirken, doch mit der Zeit gewöhnt man sich an die Art der Darstellung, denn auch sie ist integraler Bestandteil der Geschichte. Sie ist quasi eine weitere Ebene der visuellen Darstellung von Michael Stones Zustand oder dem, was mit seinem Leben nicht stimmt. Also, willkommen in der Welt – oder vielmehr dem Kopf – von Charlie Kaufman. Denn eines muss unmissverständlich klar sein, wer sich auf Anomalisa einlässt, wird mit einer komplexen Geschichte konfrontiert.
Aber während sich Kaufman mit seinem Regie-Debüt Synecdoche, New York in der Hinsicht übernommen hat, dass er zu viel von allem in seinen Film packen wollte, eine Ambition, die in gewisser Weise das Vorhaben des Protagonisten widerspiegelte, zügelt er (oder Duke Johnson?) hier seine manchmal etwas überbordende Fantasie und filmischen Ehrgeiz indem er die Handlung stärker fokussiert. Trotzdem wird vielleicht gerade das auch zum Verhängnis von Anomalisa. Während Kaufman sonst immer viel Wert auf mehrere gut ausgearbeitete Figuren legt, führt die teils eingeschränkte Zentrierung auf den Protagonisten zu banalen Nebenfiguren, streng genommen zu einer, nämlich Lisa, die viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt bekommt und daher eine enttäuschend eindimensionale Figur für einen Kaufman-Film bleibt.
Anomalisa ist wie alle bisherigen Filme von Kaufman eine originelle Geschichte, die ihresgleichen sucht. Aber genau wie viele seiner anderen Werke, hat auch Anomalisa seine Probleme mit dem Tempo. So wie zum Beispiel Being John Malkovich oder Adaption sich gegen Ende in ihrer eigenen Verschrobenheit verrennen, um allem noch eine Schippe drauf zu legen, so wirkt im Kontrast dazu Anomalisa, als würde er an manchen Stellen in der Erzählung zu gewaltige Sprünge machen, Momente auslassen oder zu stark Komprimieren. Am Ende hat man das Gefühl etwas verpasst zu haben, etwas übersehen zu haben, fast als wäre der Film zu kurz. Gleichzeitig hat man aber auch das Gefühl etwas besonderes gesehen zu haben und das wiederum macht Anomalisa zu einem absolut sehenswertem Film.
Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson, Drehbuch: Charlie Kaufman, Sprecher: David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan, Filmlänge: 90 Minuten, Kinostart: 21.01.2016, gezeigt im Rahmen der Viennale 2015, www.anomalisa.com