The Place Beyond the Pines
Ryan Gosling ist wieder unterwegs, diesmal flüchtet er jedoch mit einem Motorrad vom Schauplatz des Verbrechens. Ein dichtes Drama, das jedoch an zu viel (!) Ambition kränkelt.
Luke ist Stuntmotorradfahrer am Rummelplatz, bis er herausfindet, dass er einen einjährigen Sohn hat. Diese Erkenntnis und sein unbändiger Wunsch das Kind und seine Mutter Romina (Eva Mendes) zu unterstützen und Zeit mit ihnen zu verbringen, für sein Kind da zu sein, führen ihn auf die falsche Seite des Gesetzes. Um Geld zu verdienen wird er kurzerhand zum Bankräuber. Dann ist da noch der aufrechte Polizist Avery (Bradley Cooper), der nach einer Schussverletzung nicht nur an seinen äußeren, sondern auch inneren Verletzungen zu laborieren hat. Überraschend stellt er fest, dass er nichts mit seinem ebenfalls einjährigen Sohn anzufangen weiß. Fünfzehn Jahre später sieht man dann, was aus diesen zwei sehr unterschiedlich aufgewachsenen Burschen Jason (Dane DeHaan) respektive AJ (Emory Cohen) geworden ist.
Regisseur und Ko-Autor Derek Cianfrance zeichnet mit The Place Beyond the Pines ein verwobenes, dramatisches und überraschendes Triptychon unterschiedlichster Charaktere. In seinen besten Momenten entwickelt der Film eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann und die den Zuschauer intensiv an den Figuren und deren Schicksal teilhaben lässt. In seinen schwächeren Momenten verliert sich das ambitionierte Werk jedoch in seiner, beinahe an griechische Tragödien gemahnenden Bandbreite, was leider dazu führt, das sich einige Leerstellen in den Film einschleichen, die seine Gesamtwirkung etwas schwächen. Mit über zwei Stunden Laufzeit hat man hin und wieder das Gefühl, dass Cianfrance sich etwas zu viel Zeit nimmt um auf den Punkt zu kommen. Dennoch ist es ihm hoch anzurechnen, mit welchem Gespür und beinharter Konsequenz er seine Geschichte erzählt und seine Figuren ins Bild rückt.
Überhaupt lebt The Place Beyond the Pines stark von seinen Schauspielern. Allen voran ist es Ryan Goslings ungemein dominanter physischer und emotionaler Präsenz zu verdanken, dass der Film funktioniert. Seine Figur bildet einen Orbit mit eigener Anziehungskraft, um die sich die restlichen Darsteller und deren Handlungen bewegen und hätten Gosling und Cianfrance seinen Charakter des Motorradfahrers weniger prägnant in Szene gesetzt, könnte der Streifen leicht auseinander brechen. So jedoch, etabliert sich in Luke eine Figur, die beinahe mythische Züge annimmt. Aber auch Bradley Cooper, Eva Mendes und besonders die Jungdarsteller Dane DeHaan und Emory Cohen verstehen es sich zu präsentieren und liefern beeindruckende Leistungen ab. Cooper und Mendes zeigen einmal mehr, dass sie zu besseren Performances fähig sind, wenn sie mit einem starken Drehbuch und unter kohärenter Regie arbeiten. DeHaan und Cohen wiederum beweisen sich als Schauspieler, die es in Zukunft zu beobachten gilt und ein ungemein großes Maß an Potenzial offenbaren.
Gleiches gilt auch für Derek Cianfrance, der sich mit seinem erst dritten Spielfilm nach Brothers Tied und Blue Valentine zu einem aufstrebenden und vielversprechenden Filmemacher gemausert hat. Seine Regie hat hier etwas Semi-dokumentarisches und geht einerseits so nahe an die Gesichter heran (vor allem mit Gosling gibt es eine enorm starke Szene bei der Taufe seines Sohnes), dass sie zu Landschaften der Emotionen werden, andererseits setzt er dynamische Momente gleichsam realistisch ins Bild, die dadurch etwas erfrischend Ehrliches erhalten. Überhaupt ist gefühlsmäßige und visuelle Ehrlichkeit einer der großen Pluspunkte von The Place Beyond the Pines. Dramaturgisch übernimmt er sich jedoch an manchen Stellen. Gerade gegen Ende hin wirkt das Drehbuch stark konstruiert und in seiner Kulmination leider erzwungen. Wodurch gerade der letzte Teil des Streifens an Prägnanz einbüßt. Gewisse Leerstellen kann er ebenso wenig verhindern, die gemeinsam mit dem teils gemächlichen Erzählstil in frappanter Langatmigkeit gipfeln.
Wenn The Place Beyond the Pines etwas in seiner Länge reduziert wäre und die anfängliche Dynamik aufrecht erhalten hätte werden können, dann hätte man es hier eventuell mit einem wahren Meisterwerk zu tun. Cianfrances Ambitionen sind jedoch lobenswert und stellen allein wegen seinem Mut ein allemal sehenswertes Werk dar, das trotz Schwächen weit vor gängiger Massenware einzuordnen ist. Nicht zuletzt dank der grandiosen schauspielerischen Leistungen. Gosling zeigt hier einmal mehr wie viel er ausdrücken kann, selbst mit minimalen Gesten. Kaum ein gegenwärtiger Schauspieler kann mit seiner Körpersprache und Mimik eine Figur derart beherrschen und damit das Publikum für sich einnehmen (vielleicht nur noch Fassbender und Hardy), dass seine Performance noch lange nachwirkt. Trotzdem hat man nie das Gefühl Gosling zu sehen, sondern nur Luke, den Stuntmotorradfahrer. Und es wäre ein Fehler zu meinen, dass er gerade wegen seiner physischen Dominanz nicht auch sprechen könnte. Gosling ist hier kein schweigsamer Protagonist. Auch was er imstande ist, mit seiner Stimme (und Stimmlage) auszudrücken, ist schlichtweg beeindruckend.
Dass ein Drama, welches vier Schicksale ineinander verwebt, stellenweise konstruiert wirkt, ist normalerweise zu verzeihen, aber angesichts der enorm starken ersten zwei Drittel des Films umso schmerzhafter, weil man sich ständig fragen muss, was wäre wenn? The Place Beyond the Pines ist ein atmosphärisch ungemein dichtes, absolut sehenswertes Drama, dass jedoch zu viel auf einmal versucht und daher leider nicht das Meisterwerk ist, welches es dank seinem Potenzial an Talent und Ideen durchaus hätte sein können.
Regie: Derek Cianfrance, Drehbuch: Derek Cianfrance, Ben Coccio, Darius Marder, Darsteller: Ryan Gosling, Eva Mendes, Bradley Cooper, Dane DeHaan, Emory Cohen, Ray Liotta, Laufzeit: 140 Minuten, Kinostart: 14.06.2013, www.theplacebeyondthepines.de