Drive
Noch bevor „Drive“ regulär in den Kinos anläuft, eilt dem Film sein Ruf voraus und prophezeit Kultstatus. Ginge es nach seiner Vorlage, dem 2005 publizierten Roman „Drive“ von James Sallis, dann wird er bald die Bestenlisten anführen. Die Geschichte handelt von einem geborenen Rennfahrer, dem „Driver“ (Ryan Gosling), der tagsüber als Stuntman für den Film arbeitet und nachts seine Fahrkünste Kriminellen als Lenker von Fluchtautos zur Verfügung stellt. Als er sich in seine Nachbarin (Carey Mulligan) verliebt, ist das der Auftakt zu einem Kräftemessen mit der Mafia (Albert Brooks). Obwohl „Drive“ im Stil der 1980er gedreht ist, mit passenden Requisiten, Popmusik (Cliff Martinez) und Farbgebung, spricht die Inszenierung von Nicolas Winding Refn dennoch eine ganz eigene Sprache.
Im Vorfeld als Action und Crime gehandelt und mit „Driver“ von Walter Hill sowie mit Bullit & Co. verglichen, schürt das zwar einen gewissen Maßstab, wird dem Film aber nur begrenzt gerecht. Denn anders als der gummigebende Bullit, meistert der Driver hier die Verfolgungsjagden am eindrucksvollsten, wenn es nicht heiß her geht, sondern er sie wie in der Eröffnungsszene als Stop-and-Go entwickelt. So hat „Drive“ ein Tempo, das von Melancholie und Einsamkeit getragen wird und das Refn durch den Einsatz von Slow Motion weiter herunter drosselt. Hier geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Rhythmus.
Alle Figuren in „Drive“ sind (gut gespielte) Prototypen und gruppieren sich um das Zentralgestirn des Drivers. Ryan Gosling und diese Figur scheinen eins zu sein. Man möchte meinen, Refn hat sich Gosling ins Boot geholt, so perfekt ist dieser in Szene gesetzt. Tatsächlich verhielt es sich aber umgekehrt, Gosling war bereits engagiert und hat Refn die Regie zugetragen. Interessant ist Ryan Gosling vor allem aufgrund seines charakteristischen Minenspiels. Emotionen vollziehen sich unterschwellig und zeigen an der Oberfläche nur Ausläufer. Das erzeugt zugleich die Einsamkeit und die Coolness, die eine Figur wie der Driver braucht. Was Goslings Part ausmacht, ist jedoch, dass er im Grunde gar nicht sonderlich cool ist. Man nehme ihm nur den Zahnstocher und die Skorpionjacke weg und er entpuppt sich als der schüchterne, aber nette Junge von nebenan. Er ist „The Kid“, namenlos, wortlos und in sich gekehrt. Jegliche Empfindung wirkt und provoziert unmittelbar, sowohl Liebe, als auch Aggression werden bis zur Verklärung übersteigert. Kindlich anmutende Verliebtheit steht auf der einen Seite, schrankenlose Brutalität auf der anderen.
Die Kontraste sind es schließlich auch, die diesen Film so außergewöhnlich machen. Im Gegensatz zu den teils extrem kitschig inszenierten Momentaufnahmen entwirft Refn eskalierende Gewaltszenen und hinterlässt damit die Handschrift, die er bereits in seiner „Pusher-Trilogie“ oder „Valhalla Rising“ in Form von Schädeleinschlagen zelebriert hat. Die Extreme zwischen den romantischen und den gewaltvollen Bildern, zwischen Stillstand und Bewegung, zwischen Sonnenlicht und Neonröhren werden bis ins Äußerste getrieben. Die geballte Bündelung von Bewegung, Musik und Licht erzeugt zwar die ganz eigene Dynamik und Spannung der Inszenierung, kann aber wohl auch zu einer Überreizung kitschempfindlicher Gemüter führen. Doch man sollte Nachsicht walten lassen, schließlich ist „Drive“ ein Großstadtmärchen von der Verwandlung eines Froschs in einen Skorpion. So prägnant Ryan Goslings Darstellung auch ist, der Star des Films ist ein anderer: Nicolas Winding Refn. Cannes hat ihn völlig zurecht mit der Besten Regie gewürdigt. Refn hat eine Arbeit von beeindruckender formaler und atmosphärischer Dichte und eigenwilliger Faszination geschaffen, die unterm Strich vor allem eins ist: Cool!
Regie: Nicolas Winding Refn; Drehbuch: Hossein Amini; Darsteller: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Oscar Isaac, Christina Hendricks, Ron Perlman, Länge: 100 Minuten; Kinostart: 26.01.2012