Unter Kontrolle © 2011 Farbfilm Verleih

Unter Kontrolle

Gestern fand die zweite Preview der bevorstehenden Viennale statt. In den letzten Jahren hat sich das Wiener Filmfestival programmatisch neben Spiel- und Kurzfilmen beinahe zur Hälfte Dokumentarfilmen verschrieben. Und dementsprechend präsentierte, nach dem Independentfilm Tomboy der Französin Céline Sciamma bei der ersten, die zweite Preview eine Dokumentation: Unter Kontrolle von Volker Sattel…

Einige Bemerkungen vorweg: Da es sich um eine Sneak Preview handelte, war der Film bis kurz vor dessen Projektion nicht bekannt. Und als Hans Hurch ihn ankündigte, ging merkliche Enttäuschung durchs Publikum. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Publikum um eingefleischte Viennale-Fans gehalten hat oder um ein Sneak Preview-Publikum, das sich auf Überraschungen freut und enttäuscht ist, wenn dann doch kein ‚Knüller’ gezeigt wird. Das den Film begleitende Genuschel, Kommentieren und unpassende Gelächter lässt eher auf den zweiten Typus des Kinobesuchers schließen. Nun ja, angesichts dessen ist die einleitende Bemerkung Hurchs, „Wo Viennale drauf steht, ist auch Viennale drin“, umso aussagekräftiger. Aber macht ja nichts, für all die, die sich gestern gelangweilt haben, steht bei der dritten Preview ein viennaler ‚Blockbuster’ am Programm.

Aber nun zum Film. Unter Kontrolle ist, wie der Untertitel sagt, eine Archäologie der Atomkraft. In den letzten Jahren hat sich in dem Genre der Dokumentation ein überwiegend formal ausgerichteter Stil herausgebildet, der sich in erster Linie auf die Bilder und weniger auf deren Kommentierung konzentriert (man denke bspw. an den in dieser Hinsicht radikal reduzierten Film Unser täglich Brot von Nikolaus Geyrhalter). Auch Volker Sattel verfolgt diesen Weg, exerziert ihn mit Cinemascope-Bildern, verzichtet aber nicht zur Gänze auf gesprochene Sprache. Brennstäbe, Schalttafeln, Schutzanzüge sind wie Stillleben anzusehen. Und doch haben sie eine bemerkenswerte Ausdruckskraft, die nichts mit Kontemplation zu tun hat. Sattels Bilder, er führte selbst Kamera, lassen die Atomreaktoren nicht als gebannte High-Tech-Schönheiten stehen, sondern zeugen von einem politisch  und moralisch desavouierten Wirtschaftszweig.

Arbeiter von Atommeilern, Lagerstätten oder Forschungseinrichtungen sind bei ihrer Arbeit zu sehen, ihre Leiter kommen zu Wort. Die morgendliche Besprechung der Störfälle ist tägliche Routine, genau so wie das Tragen der Schutzanzüge und der Gang durch die Kontaminationsschleuse am Ende der Schicht. Sie wirken wie Menschen in einem Paralleluniversum, die trotz aller Unkenrufe daran glauben, was sie tun, beseelt von Stolz und Glaube an die Technik. Ja, die Technik ist schön, vor allem wie sie Volker Sattel ins Bild setzt. Dennoch erzeugen die Bilder auch Unbehagen – als würde man einem Monster beim Schlafen zusehen, von dem man nicht weiß, wie man ihm beikommen kann, wenn es erst einmal wach ist.

Die Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre ist längst vorbei. Das sieht man auch an dem Interieur der Kraftwerke. Gebaute und doch nie in Betrieb genommene Anlagen, die „vielleicht sichersten der Welt“ (O-Ton eines Verwalters von Zwentendorf), zeugen ebenfalls davon. Der Freizeitpark im nie ans Netz gegangenen „Schnellen Brüter“ im deutschen Kalkar wirkt besonders gruselig, wenn das Lachen der Kinder im Kühlturm widerhallt. Denn nicht zuletzt Tschernobyl hat das Ansehen der Atomenergie als friedliche Zukunftsutopie zerstört. Heute hat man dafür einen weiteren Namen, Fukushima, von dem Unter Kontrolle aber nicht motiviert wurde. Das Unglück in Japan geschah kurz nach der Premiere des Films auf der Berlinale.

Wer sich für das Thema interessiert und auf reißerische Inszenierung oder große Botschaften verzichten kann, sollte die Gelegenheit nicht verpassen sich den Film bei der Viennale im Herbst anzusehen. Sattels Film ist weder pro noch kontra Atomenergie – wir sollen uns selber unseren Teil denken. Aber nicht vergessen: Es handelt sich um einen Dokumentarfilm! Und wer keine Männer, die nicht wie Brad Pitt aussehen, in Unterhosen sehen kann ohne zu lachen, bleibt bitteschön zuhause!!

Regie: Volker Sattel, Drehbuch: Volker Sattel in Zusammenarbeit mit Stefan Stefanescu, Länge: 98 Minuten, Viennale: 20.10.2011-02.11.2011