Festival der Nationen 2016 – Erster Nachbericht
Das Festival der Nationen in Lenzing ist vorbei. Es war eine schöne Zeit voller Filme, Diskussionen, regnerischem, saukaltem Wetter und vielen neuen Bekanntschaften und interessanten Filmemachern. Da pressplay dort eingeladen war, widmen wir diesem einzigartigen Festival einen ausführlicheren Nachbericht.
Hier also der erste Teil. Und zur Vorwarnung: es folgen noch zwei weitere Teile, denn ja, es waren ereignisreiche Tage. Als Bonus wird es auch noch Interviews geben, unter anderem auch mit Miki Polonski, dem Regisseur des Siegerfilms in der Kategorie bester fiktiver Kurzilm Ten Buildings Away.
Festivaleröffnung
Gleich bei der Ankunft vor dem Kino eine große Überraschung, denn davor steht eine dicht gedrängte Menge unter dem Vordach des überraschend großen Programmkinos. Mehrere Schulklassen sind mit von der Partie und verhalten sich im Kino ungewohnt diszipliniert und ruhig. Passend dazu ist auch der erste Teil der Veranstaltung für Kinder- und Jugendliche gedacht. Wer sich nun aber niedliche Kinderfilme erwartet, erlebt gleich die nächste Überraschung. Die gezeigten Kurzfilme, vor allem Expectations vs. Reality, Mission und I was born (not) to be blessed erweisen sich als angenehm erwachsen und reif was ihre Thematik betrifft. Jury- und Publikumsliebling ist der Legofilm Ein ganz normaler Tag, von dem 15-jährigen Thomas Speckhofer quasi im Alleingang gemacht und realisiert. Für musikalische Auflockerung sorgte dann das Musikvideo Elise von Viech.
Die Schulklassen reisen ab und es geht weiter mit den etwas ernsteren Themen. Während sich der Dokumentarfilm Wille und Wolle von Jasmin Al-Kattib als einfühlsames Porträt zeigt, enttäuscht die „Hochglanzproduktion“ Jungwild von Thomas Wenger. Ja, handwerklich gibt es an dem Film vielleicht nichts auszusetzen und mit Erwin Steinhauer und Thomas Schubert sind gleich zwei namhafte Kaliber zu sehen, doch inhaltlich eine vorhersehbare, banale Geschichte, welche (nicht nur bei der Jury) auf Ablehnung und Langeweile stößt.
Betonfraß von Karsten Kranzusch, eine harte Milieustudie in Rostock spielend, und We will see if we drown (Originaltitel: On verra bien si on se noie)von Hugo Becker, eine humorvolle Miliestudie in Frankreich spielend, polarisieren die Jury (vor allem der Erste der beiden). Beide Filme haben zwar ihre Schwächen, vor allem was die Dialoge und Figurenzeichnung betrifft, sind aber dennoch eindringliche Bilder einer gesellschaftlichen Unterschicht, die sich halt einfach nicht anders zu helfen weiß, als mit Gewalt, Alkohol und Drogen um ihre Misere zumindest halbwegs erträglich zu machen. Hierbei ist vor allem Luis Quintana als Balla in Betonfraß hervorzuheben, der eine eindringliche Performance liefert.
Der Tag endet mit zwei komödiantischen Highlights. Otherwise Engaged von Alicia MacDonald ist eine vierminütige Satire auf unseren Smart-Phone-Wahn und unsere Besessenheit von diesem Gerät. Ein wahrlich perfekter Kurzfilm. Und zum Schluss Anthony von Tim Key. Ein bissiger, britischer, bitterböser Abgesang auf den Weihnachtsmann, der kein Auge trocken lässt. So muss eine Komödie sein. Dauert zwar nur fünfzehn Minuten, aber von diesen knappen Minuten kann sich so manch großer Spielfilm, der sich selbst Komödie schimpft noch einiges abschauen.
Nach den ersten vier Filmblöcken gibt es dann ein schmackhaftes Buffet und Live-Musik des Männerchors „Die Kawenzmänner“, die nicht nur stimmlich gut waren, sondern auch Stimmung verbreitet haben und wer sich denkt, dass ein Männerchor nicht auch grandiose und launische Musik hervorbringen kann, der muss sich diese Männer dringend mal anhören, klingen ihre Lieder und ihr Gesang wie Seemannslieder.
Es geht weiter
Nach später Heimkehr, also einer langen Nacht und Festivaleröffnung, geht es gleich zeitig weiter. Noch verschlafen setzt man sich nichtsahnend ins Kino und hofft eigentlich auf leichte Kost. Stattdessen wird man mit dem bisher wohl deprimierendsten Filmblock konfrontiert. Nicht so sehr im Sinne der Qualität der gezeigten Filme, als vielmehr wegen ihrer teilweise harten Thematik.
Gleich der erste Film Victory Day, eine russische Dokumentation, hat es in sich und reißt nicht nur das Publikum, sondern auch die Jury mit und erntet durchwegs positives, begeistertes Feedback. Victory Day behandelt das Thema gleichgeschlechtlicher Beziehungen im heutigen Russland. Und wer sich halbwegs damit auskennt, weiß, dass das eine heikle Situation ist. Gleichgeschlechtliche Paare werden dort offen verfolgt, diskriminiert und müssen in Angst leben. Als Europäer kommt einem bei manchen Bildern das nackte Grauen, assoziiert man sie doch leicht mit dem Regime der Nationalsozialisten.
Auch The Learning Alliance, der das Leben dreier Kinder in Lahore, Pakistan schildert, die, um sich Schuldbildung zu Leisten, auf den Mülldeponien arbeiten, weiß gekonnt zu erschüttern und erzählt eine tragische Geschichte menschlichen Leids, die Aufgrund ihrer ständigen Relevanz gar nicht oft genug erzählt werden kann. Wie gewohnt wird es dann am Abend wieder Böse. Ob nun die schwarz-humorige, aber auch tragische Männerfreundschaft in Neongrau von Jeannette Karstaedt, das märchenhaft-bissige Zusammenleben in einem Wohnblock in Bubble Blues von Patrick Volve oder der neurotische Horroskop-Leser in Love and Health von Simon Morard sind allesamt brillant inszenierte Kurzfilme, die vor Humor, Originalität und Charme förmlich von der Leinwand springen.
Rahmenprogramm I
Insgesamt laufen auf dem Festival der Nationen 107 Kurzfilme, ausgewählt aus an die 700 Einreichungen aus aller Welt. Nun denkt man vielleicht, sind ja nur Kurzfilme, das ist doch gar nicht so schlimm. Doch die Filme summieren sich und es fällt schwer den Überblick zu behalten. Denn auch wenn es sich um Kurzfilme handelt, darf man nicht die Komplexität und Themenvielfalt der gezeigten Filme unterschätzen.
Zum Glück bietet das Festival aber Abseits der Filme auch genug Abwechslung zum Erholen und Feiern. Na ja, eigentlich vor allem zum Feiern. Am Eröffnungsabend sorgten die „Kavenzmänner“ und die örtliche Blasmusikkapelle für die musikalische Unterhaltung, während es am Buffet reichlich Essen und Trinken gibt. Das gemütliche Beisammensein sorgt auch gleich am ersten Abend dafür, dass man die Leute besser kennenlernt. Egal ob nun den Festivalleiter Christian Gaigg, die Jurymitglieder oder Filmemacher und „gewöhnliche“ Besucher.
Doch das war nur ein Vorgeschmack. Richtig schlimm wird es dann erst am nächsten Abend. Denn da steht eine große Party an. DJ Hazelman aus Wien legt in der Bar „Trücklheinz“ auf und sorgt für die richtige Musik, während sich die Besucher gehen lassen und ein Glas nach dem anderen kippen. Spät Nachts verschlägt es dann sogar einige wagemutige und vermutlich durch den Alkohol aufgeheizte Gemüter in den eiskalten Attersee zu einer kleinen Abkühlung. Statt den erwarteten Verkühlungen grüßen einem am nächsten Tag jedoch vorwiegend verkaterte Gesichter, die sich trotz schwerem Kopf ins Kino begeben. Das nennt man wohl Liebe zum Film.
Offizielle Homepage des Festivals der Nationen
Foto-Copyright der Festivalbilder: Authentic