All Is Lost
„All is lost here“ – diese Erkenntnis ist in der Einleitenden Voice-Over des Protagonisten zu hören und stimmt den Zuschauer bereits perfekt auf das zu Erwartende ein.
Ein Mann (großartig: Robert Redford) ist mit seinem Segelboot unterwegs auf offenem Meer, als eines Morgens ein Container sein Boot trifft und ihm ein klaffendes Loch hinein reißt. Dies ist der Anfang seines verzweifelten Überlebenskampfes gegen die Naturgewalt Meer. Will er überleben, muss er sich gegen die ihn umgebenden Widrigkeiten zur Wehr setzen. Gleichzeitig realisiert er (oder vielmehr der Zuschauer), wie verschwindend klein der Mensch doch im Vergleich zur Natur ist.
Zu welchen Erkenntnissen der Protagonist, der selbst im Drehbuch nur mit “Our Man” bezeichnet wird, gelangt, bleibt für den Zuschauer großteils ein Rätsel. Mit Ausnahme der einleitenden Voice-Over und einigen wenigen Sätzen ist All is Lost beinahe so etwas wie ein moderner Stummfilm. Stattdessen lebt die Spannung des Films von der grandiosen physischen Performance seines Hauptdarstellers Robert Redford, der seine beste Leistung seit langem abliefert. Nicht nur seine körperliche Präsenz, sondern auch seine Mimik sprechen für sich. Da er zudem nur sehr dürftig charakterisiert ist und das Publikum nur wenig bis gar nichts über ihn weiß, stehen all seine Gefühle und Gedanken frei zur Interpretation durch den Zuschauer.
Regisseur und Drehbuchautor J.C. Chandor (Margin Call – Der große Crash) reduziert filmisches und dramaturgisches auf ein Minimum und es gelingt ihm dennoch ein ungemein dichtes Spannungsgefüge zu erzeugen und über den gesamten Verlauf aufrecht zu erhalten. Es ist nicht nur seiner gekonnten Regie und dem fantastischen Hauptdarsteller, sondern auch seinem ökonomischen Drehbuch (nur 32 Seiten) zu verdanken, dass All is Lost zu keiner Sekunde langweilig wird. Denn im Gegensatz zum ähnlich gearteten Gravity, verzichtet Chandor darauf seine Geschichte mit unnötigem Balast oder aufgesetzten, banalen Hintergrundgeschichten zu beschweren, die gerade wegen ihrer simplen Ausführung ohnehin nicht zu einer emotionalen Bindung führen würden. Deshalb verzichtete Chandor lieber komplett darauf. Aber auch genau darin liegt die wohl einizge Schwäche von All is Lost begraben.
Die Essenz der eigenen Existenz anhand eines Überlebenskampfes auf offenem Meer darzustellen ist eine durchaus beliebte Metapher, der sich (wohl am bekanntesten) Ernest Hemingway in seinem mit dem Pulitzer-Preis bedachten Roman Der alte Mann und das Meer bedient hat. Während man in Hemingways Klassiker zwar mehr über die Hauptfigur erfährt, als in All is Lost und man Chandors Werk durchaus einen mangelnden inneren Konflikt seines Protagonisten vorwerfen kann, wäre das doch zu kurz gegriffen.
Gerade weil Redfords Rolle eine durch Hintergrund und Vorgeschichte relativ unbehaftete Figur ist, wird die Nichtigkeit des Menschen im Angesicht der ungeheuren Kraft des Meeres und der Natur umso deutlicher spürbar. Durch diesen simplen, aber raffinierten Kunstgriff Chandors ist All is Lost ein wahrlich purer Film. Auf den ersten Blick auf ein rein äußerliches Drama mit einer unbekannten Hauptfigur und ohne inneren Konflikt beschränkt, verdichtet er damit die Interpretationsmöglichkeit des Zuschauers und unterstreicht seine Thematik. Der Mensch ist klein. Der Mensch ist unbedeutend im Vergleich zu solch großen Kräften. Der Mensch sollte sich nicht so wichtig nehmen, denn gestrandet auf dem Meer, im Angesicht mit seinem eigenen Leben und der eigenen Sterblichkeit, bleibt nur ein einfaches, aber umso erschütternderes Fazit: „All is lost here“.
Regie und Drehbuch: J.C. Chandor, Darsteller: Robert Redford, Laufzeit: 106 Minuten, Kinostart: 10.01.2014, www.all-is-lost.de