Nacht wird es immer (c) 2021 Willy Vlautin, Berlin Verlag(2)

Nacht wird es immer

Nacht wird es immer ist das neueste Werk von Willy Vlautin und wer diesen Autor noch nicht kennt, sollte das schnell nachholen. Denn sein neuer Roman ist einer der besten des Jahres.

Lynette arbeitet in zwei Jobs und holt ihren Schulabschluss nach. Sie will gemeinsam mit ihrer Mutter das Haus kaufen, in dem die Familie seit ihrer Geburt lebt. Es ist eine einmalige Chance, denn die Mietpreise in Portland schießen in die Höhe. Doch plötzlich lässt ihre Mutter sie hängen und kauft sich stattdessen ein neues Auto. Die Möglichkeit, einen festen Platz im Leben zu finden, scheint sich für Lynette in Luft aufzulösen. Eine Nacht lang versucht sie alleine das nötige Geld aufzutreiben. Sie möchte sich zurückholen, was andere ihr schulden. Gleichzeitig ist diese Nacht jedoch eine überaus schmerzhafte Reise in ihre eigene Vergangenheit. Und die Menschen, mit denen Lynette es zu tun bekommt, sind alles andere als rücksichtsvoll.

Der Wagen sprang beim zweiten Versuch an. Die Heizung war seit einem Jahr kaputt und ihr Atem ließ die Scheiben von innen beschlagen. Sie fuhr mit einer Hand am Lenkrad, in der anderen hielt sie einen Lappen, mit dem sie die Windschutzscheibe wischte.

Auch Willy Vlautins voriger Roman Ein feiner Typ war eine ruhige, aber emotional geladene Geschichte über zutiefst menschliche Probleme. Gleiches gilt auch für Nacht wird es immer. Wieder einmal gelingt es ihm, eine vergleichsweise simple Handlung mit Spannung, Krimi-Elementen und Tiefgang aufzuladen. Er zeichnet komplexe Figuren und schickt den Leser auf eine Reise ins Innenleben und die Vergangenheit seiner Protagonistin. Und es ist eine durchaus schmerzliche Reise. Vlautin baut seinen Roman langsam auf, aber man ist sofort in dem Sog der Erzählung gefangen. Seite für Seite entfaltet der Roman immer mehr seine vielseitige und vielschichtige Hauptfigur. Obwohl er über schmerzhafte Erfahrungen und Themen schreibt, schenkt er Lynette (und auch dem Leser) stets einen Funken Hoffnung.

Plötzlich liefen Lynette Tränen übers Gesicht. „Du weißt, dass ich keinen Kredit kriege“, sagte sie mit untröstlicher Stimme. „Wir haben das hundertmal besprochen. Ich versteh ja bloß nicht, warum du das ausgerechnet jetzt machst. Ich hab so hart gearbeitet, um die Anzahlung zusammenzukriegen.“

Nacht wird es immer ist stilistisch ungemein stark. Die Dialoge sind authentisch und die Figuren glaubwürdig. Überhaupt liest es sich beinahe wie etwas vom Autor selbst erlebtes. Außerdem gelingt es Vlautin eine wirklich starke Protagonistin zu entwerfen, ohne Klischees oder Stereotypen zu bedienen. Seine Erzählweise mag zwar ruhig sein, aber Nacht wird es immer ist es nicht. Es ist ein unglaublich intensiver Roman. Vlautins Stil ist direkt und rau, aber so vollkommen ehrlich und gefühlvoll und natürlich zugleich. Willy Vlautin ist mit Nacht wird es immer ein absolutes Jahreshighlight gelungen. Ein virtuoser Roman, der perfekt Komplexität mit Spannung verbindet. Große Literatur muss nicht langweilig sein.

Nacht wird es immer von Willy Vlautin, 288 Seiten, erschienen im Berlin Verlag.

Nacht wird es immer