Die Chroniken von Erdsee
Der erste Film von Gorō Miyazaki zählt unter den Fans zu einer der schwächsten Arbeiten aus dem Hause Ghibli. Zu diesem Zeitpunkt war Die Chroniken von Erdsee einer der wenigen Produktionen des Studios, ohne jegliche Beteiligung von Hayao Miyazaki. Die Probleme und der Konflikt zwischen Vater und Sohn, spiegeln sich leider auch in der Qualität des Endprodukts wider.
Das Universum von Erdsee wurde von der US-amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guin entworfen und dient als Basis für die Geschichte von Die Chroniken von Erdsee. In diese Welt wird das Publikum ohne viel Erklärung hineingeworfen. Das kann funktionieren und Spaß machen, lässt in diesem Fall aber alle Zuseher, die nicht mit Erdsee vertraut sind, mit Unverständnis zurück.
Die Geschichte beginnt damit, dass die Männer eines Schiffes zwei Drachen beobachten, wie sie sich brutal zerfleischen. Obwohl es in der Welt von Erdsee Magie gibt, ist es äußerst ungewöhnlich Drachen zu sichten und zeugt von einem Ungleichgewicht der Kräfte. Mit dieser Erschütterung der Balance verlieren immer mehr Zauberer ihre Fähigkeiten. Nicht so Sperber (Bunta Sugawara), er ist ein Magier auf Reisen und trifft mitten in der Wüste auf einen jungen Prinzen mit Namen Arren (Junichi Okada). Der Junge ist auf der Flucht und hat unter mysteriösen Umständen seinen Vater umgebracht. Zusammen begeben sich die Beiden auf eine Wanderschaft, um zu sich selbst zu finden.
Die Welt von Die Chroniken von Erdsee ist das Highlight des Films. In typischer Studio Ghibli Manier, werden dem Zuseher beeindruckende Landschaften und ungewöhnliche Architektur präsentiert. Der Hintergrund ist mysteriös und hat durch die Bücher genug Tiefe, um einen über die Gegebenheiten dieser Orte Rätseln zu lassen. Doch Gorō Miyazaki fällt es schwer dieses große Konstrukt zu einem zusammenhängenden Werk zu verbinden, dass auch für Neueinsteiger verständlich ist. Vor allem da der Film wie ein Roadmovie beginnt, es jedoch an jeglicher Erklärung fehlt, wie weit diese Orte entfernt sind und was deren Bedeutung ist. In der zweiten Hälfte wird zwischen drei Schauplätzen hin und her gesprungen und dadurch gerät die Handlung ins Stocken.
Generell hat der Film Probleme einen anhaltenden Spannungsbogen aufzubauen. Zu oft werden neue Handlungsstränge eröffnet und dann nicht weiterverfolgt. Sogar die Haupthandlung geht innerhalb der kleinen Geschichten Zeitweise verloren und wird letztendlich nicht vollständig aufgelöst. Diese Umstände lassen ein ernüchtertes Publikum zurück. Mit einer Laufzeit von 115 Minuten kommt man nicht an der Annahme vorbei, dass hier viel Zeit verschwendet wurde. Was dadurch völlig auf der Strecke bleibt, ist die Epik. Ähnlich wie in Prinzessin Mononoke hat man durchwegs das Gefühl, dass hier eine Welt gezeigt wird, die fantastische Dinge zu bieten hat. Doch jegliche Möglichkeiten imposante Kämpfe zu zeigen werden ausgelassen.
Dennoch: Die Chroniken von Erdsee ist nicht so schlecht, dass man ihn gänzlich umgehen sollte. Über die gesamte Länge wird man immer wieder mit sehr starken Szenen belohnt. Zum Beispiel wenn die weibliche Protagonistin, Therru (Aoi Teshima), zu einem melancholischen Lied ansetzt, die Kamera über die weiten Grasflächen schwenkt und Arren dadurch zu Tränen gerührt wird. Oder wenn der junge Prinz im letzten Drittel zum ersten Mal auf den Bösewicht Lord Cob (Yuko Tanaka) trifft. In wenigen anderen Ghibli Szenen herrscht so eine dichte Atmosphäre wie in dieser. Der Dialog zwischen den beiden lässt einem den kalten Schauer runterlaufen und öffnet eine interessante philosophische Ebene des Films, die sich bis ins Finale zieht.
Hayao Miyazaki hat sich 2005 dagegen ausgesprochen, dass sein Sohn für Die Chroniken von Erdsee die Regie übernehmen soll. Als noch zu unerfahren, bezeichnete er Gorō damals. Und er sollte Recht behalten. Das Debütwerk fühlt sich unfertig und unsicher an. Für alle Fans von Animationsfilmen zahlt es sich dennoch aus, ihn zumindest einmal gesehen zu haben. Wer kein Meisterwerk wie Prinzessin Mononoke oder Chihiros Reise ins Zauberland erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden.
Regie: Gorô Miyazaki, Drehbuch: Gorô Miyazaki, Keiko Niwa, basierend auf dem Roman von Ursula K. Le Guin, Stimmen (Original): Jun’ichi Okada, Aoi Teshima, Bunta Sugawara, Yûko Tanaka, Teruyuki Kagawa, Filmlänge: 116 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 09.11.2012