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Jahrescharts der Redaktion 2019: Film

Nein, das Jahr 2019 ist noch nicht vorbei, zumindest inhaltlich in Sachen Redaktions-Jahrescharts. Nach fantastischen, lesenswerten und unterhaltsamen Top5 Listen unserer Kritiker, dürfen wir nun die Jahrescharts 2019 zum Thema Film präsentieren. Wie gewohnt abseits der Norm, neben dem Mainstream und nur bei pressplay quasi damit schon Tradition (soweit wir halt wissen). Wir wünschen so viel Unterhaltung beim Lesen wie wir beim Schreiben unserer Charts hatten.


Definitiv ein Gänsehaut-Moment

Quer durch die Genres und für jeden Geschmack etwas dabei: Wer Arthouse-Schmankerl liebt, dürfte bei allen Szenen zwischen Robert Pattinson und der Möwe in The Lighthouse zuerst geschluckt, dann gelacht haben. Nein, kein Tier wurde bei den Dreharbeiten verletzt, glücklicherweise. Ganz anders dann der Gänsehaut-Moment beim Abschluss von Marvels-Multimillionen-Epos Avengers: Endgame, der mit (erwartbarer) Rettung in letzter Sekunde beginnt und mit den schlussendlich doch noch geäußerten Worten “Avengers … assemble” seinen Lauf nimmt. Fun Fact: Sowohl bei den Avengers als auch beim letzten Ableger der Skywalker Saga, Star Wars: Rise of Skywalker, kommt die Hilfe in der Not mittels “Falcon”.

Weniger bombastisch, dafür umso verstörender wurde zudem sowohl in El Camino als auch in Once Upon a Time in Hollywood die Inneneinrichtung zerbröselt. Aron Pauls Jesse Pinkman trasht mit penibler Gründlichkeit eine komplette Wohnung auf der Suche nach verstecktem Geld, während Brad Pitt als Stuntman Cliff Booth mit der Manson-Family nicht ganz so kurzen Prozess der Marke Tarantino-Wunscherfüllung macht. Schrecklich schön.


Prequel, Sequel, Remake, Reboot …aber doch ok

Man geht halt auf Nummer sicher, wenn man sich auf bekanntem Boden bewegt – so der mutmaßliche Gedanke mancher Filmstudios und Produzenten, wenn Monat für Monat Filme in Auftrag gegeben werden, die inhaltlich nicht unbedingt Neuland betreten. Aber auch so manche Fortsetzung oder Neuverfilmung kann unterhalten, ohne abgrundtiefen Ekel bei Filmfans hervorzurufen. So konnte etwa der Chucky-Reboot Child’s Play durch seine Schlichtheit und Verspieltheit überzeugen, wenn auch nicht gerade begeistern. Auch die Neuvertonung der Mörderpuppe durch Mark Hamill war eher ungewöhnlich als absolut treffend, aber dennoch interessant.

Überraschend unprätentiös (!) gab sich das befürchtete CGI-Konvolut Alita: Battle Angel von Regisseur Robert Rodriguez (!!). Die Manga-eske Gestaltung der titelgebenden Hauptfigur sorgte im Vorfeld für Aufregung, konnte im Film dann durch den beherzten Einsatz von Rosa Salazar schnell vergessen gemacht werden. Die Cyberpunk-Welt wurde schmuck umgesetzt und konnte dahingehend begeistern, das Drehbuch und einige Figuren (teils der Vorlage geschuldet) dann eher weniger, naja.

Mit unterirdischer Erwartungshaltung hat man wohl auch den Kinosaal bei Terminator: Dark Fate betreten, nur um dann eines Besseren belehrt zu werden. Nun, zumindest über längere Teile des Films hinweg. Einige überaus energetisch gestaltete Actionsequenzen stehen hier einem banalen Handlungsverlauf und eindimensionalen Hauptdarstellern gegenüber, sehenswert für die zutiefst enttäuschten Terminator-Fans ist das Ganze aber doch noch geworden.


Tränen in den Augen

Wir wollen hier gleich mal eines vorweg festhalten: Der Rubrikentitel birgt zwei Interpretationsmöglichkeiten in sich. Zum einen die positive emotionale Komponente, wenn etwa ein Film wie I Lost my Body mit seiner ungewöhnlichen Erzählperspektive – eine abgetrennte Hand macht sich auf der Suche nach seinem Besitzer – den Nerv beim Zuseher trifft und mit seinen zahlreichen Wendungen, dem lebensbejahenden Romantik-Unterton sowie der großartigen optischen Umsetzung seine Spuren hinterlässt. Oder auch die ungewöhnliche Rahmenhandlung von The Farewell, die auf berührende Weise kulturelle Unterschiede zum Thema Tod, Abschied und Vergänglichkeit in den Fokus nimmt und bei manchen auch den eigenen Horizont zu erweitern vermag.

Zum anderen treibt es einem aber auch im negativ-pessimistischen Sinne die Tränen in die Augen, wenn man CGI-Verjüngung am neuesten Stand der Technik wie etwa Samuel L. Jacksons Nick Fury in Captain Marvel betrachtet und über die Zukunft des Kinos nachdenkt. Wie immersiv ist die digitale Retusche, wo liegt ihre Notwendigkeit? Oder um ein anderes Beispiel herzunehmen: Hätte sich Robert De Niro den Trainer für “jünger wirkende Körper-Bewegungen” sparen können, wenn Martin Scorsese bei The Irishman einfach einen jüngeren Schauspieler (mit wirklich strahlenden blauen Augen) für Szenen in der Vergangenheit der Hauptfigur gecastet hätte?


Das Duo des Jahres

Man muss nicht unbedingt ein ausgeprägtes Faible für Drehbücher haben um ein gut Geschriebenes zu erkennen. Wenn man etwa zwei Schauspieler jenseits der 70 serviert bekommt und sich die Handlung wie bei The Two Popes dann auch noch im klerikalen Umfeld abspielt, kann die Motivation einer Filmsichtung anfangs noch durchaus schwinden. Überraschung: Die vermutlich niemals stattgefundenen Dialogpassagen zwischen Jonathan Pryce und Anthony Hopkins sind mitreißender als je für möglich empfunden – wenn man sich darauf einlässt.

Dominanter gibt sich Robert Eggers The Lighthouse: Das atemberaubende Kammerspiel zwischen Seebär Willem Dafoe und Azubi Robert Pattinson muss man erlebt haben. In der zurecht umjubelten Tragikomödie Marriage Story finden sich gleich zwei Paarungen, die eine Erwähnung in der Rubrik Duo des Jahres mehr als rechtfertigen: Neben den naheliegenden Hauptdarstellern Adam Driver und Scarlett Johansson kann vor allem der Schlagabtausch ihrer Anwälte in Form von Laura Dern und Ray Liotta vollends überzeugen.


Grandios verstörend

 

Wir gehen gleich In medias res: Besser als grandios verstörend lässt sich ein Film wie Ari Asters Midsommar wohl nicht beschreiben, oder? Mit Asters Vorgängerfilm Hereditary im Hinterkopf startet man in das Werk und lässt sich in ein Kinoerlebnis entführen, dass durch seine Wendungen verblüfft, dabei Ratlosigkeit schafft, Interpretation erzwingt, dann enttäuscht, gleichzeitig begeistert und natürlich für Gesprächsstoff in der richtigen Runde schafft. Grandios und verstörend sowie grandios verstörend darf wohl zweifellos das Psychogramm namens Free Solo genannt werden. Die Dokumentation rund um den Freeclimbers Alex Honnold und seine unfassbare Klettertour auf den knapp einen Kilometer hohen, fast senkrechten El Capitan sollte man gesehen haben, zumindest wenn man schwindelfrei ist (nein, eigentlich egal – Sichtung lohnt sich).

Weniger Probleme mit schwindelerregenden Höhen haben die Protagonisten in High Life von Claire Denis: Hier vermag vor allem die Verwendung der vielsagenden “Fuck Box” ein neues Kapitel der bemannten Raumfahrt aufzuschlagen. Last but not least doch noch vermeintlich klassischer Horror: Wenn Jordan Peele in Us zwei überaus ähnliche, aber doch nicht idente Familien aufeinander treffen lässt und die beiden Matriarchen zum ersten gemeinsamen Gespräch ansetzen, folgt Imponierendes.


… und Action!

In Zeiten grenzenloser CGI-Effektschlachten gilt es mit Zurückhaltung zu arbeiten, um größtmögliche Wirkung beim satt gesehenen Zuseher zu erreichen. Nicht unbedingt dem Motto “Weniger ist mehr” folgend, aber doch diesem angelehnt lässt sich so etwa der Ausflug von Keanu Reeves John Wick in ein Waffen-Museum in John Wick: Chapter 3 – Parabellum beschreiben. Wie schon bei einem Großteil der Vorgänger wird hier in Sachen Action zaghaft geschnitten, klar sichtbar präsentiert und mit Choreographie beeindruckt. Logisch, ist doch Regisseur Chad Stahelski nicht nur Stunt-Double von Reeves in Matrix gewesen, sondern hat sich mit der ganzen John Wick-Reihe auch gleich als talentierter Action-Filmemacher etabliert.

In einem vergleichsweise bombastischen Rahmen findet man sich bei David Michôds The King bei der berühmten Schlacht von Azincourt wieder, die aber dennoch großartig inszeniert wurde (GoT-Vorlage sei Dank?) und so manchen nach Luft schnappen lässt. Nicht minder atemlos lässt – große Überraschung – Terminator: Dark Fate seine Zuseher zurück, zumindest in der ersten Actionsequenz, die das Aufeinandertreffen von Mackenzie Davis’ Supersoldaten Grace und Gabriel Lunas Terminator-Variante Rev-9 samt feiner Verfolgungsjagd (und mieser Auflösung derselben) zeigt.


Hotness-Award 2019

So plakativ wie der Rubrikentitel darf sich dann auch gleich Kandidat Nummero uno präsentieren, nämlich Brad Pitt. Der Herzensbrecher kann mit seinen 56 Jahren als stoischer Astronaut mit Hundeblick im unterschätzten Sci-Fi-Drama Ad Astra ebenso begeistern, wie als rauchender, shirtloser Stuntman mit “chill, Dude”-Attitude auf einem Hausdach in Once Upon a Time in Hollywood. Honorable Mentions: Der allumfassende, alles dominierende Rauschebart von Willem Dafoe in The Lighthouse und, natürlich, Adam Driver in Marriage Story – nicht nur, aber vor allem wenn er zum Mikro greift und Steven Sondheims „Being Alive“ zum Besten gibt.


Chaos in jeder Hinsicht

“Warum, Wieso?” – Nicht nur Filmfans werden bei einigen Multimillionen-Dollar-Blockbuster-Kandidaten ein mittelschweres Schleudertrauma durch intensives Kopfschütteln hervorrufen. Von den eher offensichtlichen Cash-Grab-Remakes wie Aladdin und The Lion King, die wohl niemand wirklich verlangt hat, bis hin zu belanglosen Sequels wie X-Men: Dark Phoenix, Rambo: Last Blood (hoffentlich!) und Star Wars: Rise of Skywalker lässt sich die Verzweiflung der Filmstudios geradezu ablesen. Das Ergebnis: Nichts Sehenswertes dabei, Chaos in jeder Hinsicht, sei es Drehbuch, Darsteller oder Inszenierung.

Besonders fürchterlich sind dann die schon lachhaft schlechten Produkt-Platzierungsvehikel der Marke 6 Underground: Michael Bay versucht hier (s)eine Mission: Impossible und scheitert kläglich. Welche Figur sich gerade wo und warum befindet ist wohl die größte Herausforderung für den Zuseher. Ebenfalls herausgefordert wird die Suspension of disbelief bei Ang Lees Gemini Man im Angesicht von Will Smith Junior (und, Spoiler: Will Smith Junior Junior), hier wörtlich zu nehmen. Und dies ist noch das geringste, jedenfalls aber offensichtlichste Problem dieses absolut chaotischen Films.


Style und/oder Substance

Ein ständiges Auf und Ab zeichnet das Gesamtwerk des “Poet des Kinos”, Terrence Malick aus. Oder auch interpretative Ebbe und Flut, wie der Mann selbst es wohl in minutenlangen Aufnahmen von in seichtem Wasser mit sich selbst tanzenden Schauspielern darstellen würde. Gerade bei den jüngeren Filmen Malicks zeigt sich eine Dissonanz zwischen Inhalt und Darstellung, die schon zu hitzigen Diskussionen in Filmkreisen geführt hat. Auch sein Arthouse-Sound of Music-gleicher neuester Film A Hidden Life wird Zweifler wohl nicht überzeugen können. Eines lässt sich jedoch ohne Zweifel behaupten: Es ist sein gelungenster Film seit Tree of Life.

Viel Style und wenig Substance findet sich sowohl in The Kitchen als auch Hustlers wieder, zwei Gangster-Dramen, die viel Wirbel rund um wenig Neues, Spannendes oder Innovatives aufgewirbelt haben. Immerhin: In Hustlers lässt sich ein launiger Cameo von Musikers Usher bestaunen. In Sachen Inszenierung gibt sich James Gray wie schon bei den Vorgängerfilmen The Lost City of Z und The Immigrant nun bei seinem neuen Werk Ad Astra überraschend sattelfest. Ob die langwierige Reise von Brad Pitts Charakter zu den Sternen inhaltlich mehr zu bieten hat als diese kurze Zusammenfassung liegt aber im Auge des Betrachters.


Eine Einladung zum Streitgespräch

Man war versucht, schon in der Rubrik zuvor Todd Phillips’ Comic-Psycho-Drama Joker einzubinden – und wenn dieser Ansatz schon allein nicht Grund für ein ausuferndes Streitgespräch liefert, legen wir gern noch nach: Ja, die schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix ist – wie so oft – grandios, macht aber die mit Klischees angereicherte Story nicht interessanter. Der Film funktioniert dennoch, was angesichts der zahlreichen Elemente, die Phillips von Martin Scorseses Gesamtwerk entlehnt hat, wenig verwunderlich erscheint. Der Hype: Naja.

Eine schon etwas interessantere Diskussion kann man über Sinn und Zweck von Jim Jarmuschs Zombie-Komödie The Dead Don’t Die entfachen, etwa mit der Frage: Was genau macht den Film sehenswert, interessant oder empfehlbar? Die schauspielerische Darbietung? Ein raffiniertes Drehbuch? Die Tatsache, das sich ein „Dead“ im Titel befindet? Oder einfach nur weil es ein Jarmusch-Film ist? Und zuletzt natürlich Star Wars: Zwar gibt es weniger Potential für ein richtiges Streitgespräch rund um Rise of Skywalker im Angesicht der gravierenden Lücken im Drehbuch, dafür umso mehr Gesprächsstoff, welches Fan-Service-Element das eindeutig Blödeste war. Wir schlagen dazu vor: Chewbaccas (lange am intergalaktischen Postweg verloren geglaubte?) Auszeichnung. Oder vielleicht doch die Flotte der Star Destroyer? Schwierig.