Kabul, City in the Wind
Die Seele einer Stadt ist gebeutelt von schrecklichen Bombenanschlägen und schrillen Sirenengeräuschen. Das Leben in Kabul ist geprägt von Angst und Unsicherheit. Doch gibt es Menschen, die dem Alltag in Afghanistans Hauptstadt trotzen.
Afshin und sein Bruder Benjamin wohnen an einem Berghang hoch über Kabul. Vom Dach ihres Hauses können sie über die gesamte Stadt blicken. Ihr Vater muss berufsbedingt für eine ungewisse Zeit verreisen, nun sollen sich die beiden Kinder um die Familie kümmern. Unten in der pulsierenden Metropole lebt ein Familienvater, arbeitet als Busfahrer und schlägt sich mal ehrlich, mal unehrlich durchs Leben. Kabul, City in the Wind erzählt zwei Geschichten über das Leben in einer Stadt, die von kriegerischen Konflikten gezeichnet ist und dennoch dem Westen ähnlicher ist, als es so manchen Europäern bewusst ist.
Alltag kann trist und grau sein, zumindest in Kabul. Ständig ziehen Sandstürme auf und begraben die unzähligen braunen Häuser unter einer feinen Schicht mit Sand. Der Dokumentarfilm von Aboozar Amini verzichtet in seiner Darstellung komplett auf schockierende Bilder. Dass Terror im Alltag der Menschen in Kabul allgegenwärtig ist, wird hier nur indirekt thematisiert. Erst in Gesprächen zwischen Menschen, die sich über die Bombenanschläge unterhalten und vor allem aufregen, wird das Thema angesprochen. Eben aus der Sicht der Bürger. Vielmehr handelt der Film auf eine poetische Art und Weise vom Normalen in Kabul. Die zwei Hauptfiguren erzählen abwechselnd von ihrem Leben und ihren Träumen, welche sie in kalten Nächten heimsuchen. Diese Erzählungen werden in einer sehr nahen Kameraperspektive, im Interviewformat, szenisch eingefangen. Diese Szenen sind geprägt durch Ruhe und Beständigkeit, etwas, was sich in der afghanischen Hauptstadt nicht so einfach finden lässt. Dabei zeigt sich Kabul, City in the Wind sehr einfühlsam, geht sehr behutsam mit seinen zentralen Subjekten um und gibt ihnen genügend narrativen Raum, sodass sich die Geschichte gesund entfalten kann. Der Film wechselt dabei immer wieder die Perspektive, zwischen Darstellung des alltäglichen Lebens und den Interviewszenen, sowie zwischen den beiden Erzählsträngen. Jeder einzelne hat dabei mit seinen Lebensumständen zu kämpfen.
Visuell wird das ganze von sehr nüchternen Bildern eingefangen. Die Farben grau und braun dominieren, was der ganzen Szenerie ein sehr lebloses und melancholisches Flair verleiht. Eine Atmosphäre, die sich den ganzen Film über hält und die auch zu den Stärken der Dokumentation gehört. Dass dabei keine Musik vorhanden ist, verstärkt die Stimmung noch mehr. Größtenteils ist nur der Wind im Hintergrund zu hören. Erzählt wird aus der Sicht der beiden Hauptfiguren, welche beide männlich sind. Frauen sind im Dokumentarfilm kaum vorhanden, werden explizit auch nicht thematisiert, was schade ist, da dadurch eine sehr interessante Sichtweise verloren geht. Auch das Thema Religion, das doch für den Kontext Terrorismus und Islamismus essentiell ist, wird nicht angesprochen. Zwei nicht uninteressante Aspekte werden hier konsequent ignoriert.
Durch eine dichte Atmosphäre, eine abwechslungsreiche Narration und ein figurenzentrierter Fokus zeigt Kabul, City in the Wind auf eine eindrucksvolle Weise, wie und warum zwei Menschen mit komplizierten Lebensumständen zu Recht kommen müssen. Gleichzeitig wird eine Stimmung der Stadt Kabul vermittelt, die man als westlicher Zuseher, als westliche Zuseherin viel zu selten zu sehen und vor allem spüren bekommt.
Regie: Aboozar Amini, Filmlänge: 88 Minuten, gezeigt am 02.12.2019 auf dem This Human World